Es war einer dieser Tage, an denen du nur mit Mühe morgens ein Auge auf bekommst.
Tief in deinem Schädel spürst du ein leichtes, aber stetiges Brummen und es kommt dir vor, als würde alles um dich herum leicht schwanken. Du schmeckst den schalen Geschmack von billigem Fusel, den du dir in der vergangenen Nacht bis zur Besinnungslosigkeit einverleibt hast, und gleich wirst du das noch billigere Parfum riechen, dessen Trägerin du vermutlich in einer zwielichtigen Bar aufgegabelt und unnötigerweise mit genommen hast.
Einsame Herzen, die sich für ein paar Stunden zweifelhaften Glücks zusammen gefunden haben.
Ganz vorsichtig blinzelst du mit einem Auge; die nähere Umgebung kommt dir unbekannt vor und du bist dir dann irgendwann sicher, nicht in deinen eigenen vier Wänden zu sein.
Ein fremdes Haus, ein fremdes Bett, eine fremde Frau.
‚Fremd‘, denkst du, ‚das ist gut‘.
Keine unnötigen Fragen, die du nachher beantworten musst.
Kein ’sehen wir uns bald mal wieder?‘ oder ‚rufst du mich mal an?‘
Lass sie um Himmels Willen weiter schlafen, denkst du dir und machst noch einmal beide Augen fest zu um die nötige Kraft zu sammeln, damit du dich dann wie ein Dieb in der Nacht heimlich davon stehlen kannst.
„Papa?“
…
„Papa!“
Was soll das jetzt?
Bitte nicht die Nummer.
Schlaf weiter, flehe ich still und stelle mich tot.
„Pappaaa!“
Papa, Papa, schießt es mir durch den Kopf, was bildet sich diese Person überhaupt ein? So intim können wir gar nicht gewesen sein, dass die mich Papa nennen darf!
„Papa, aufstehen, Frühstück ist fertig !!!“
Häh?
Aber das ist doch, … das ist doch gar keine Frauenstimme.
Das ist Matteo, mein Sohn.
Oh Schreck.
Was macht der denn hier?
Ich, im Bett einer fremden Frau.
Was wird Matteo da denken?
Wild entschlossen reiße ich beide Augen auf, schrecke mit dem Oberkörper hoch und knalle mit meinem Kopf an irgendetwas, das mir so hart wie Kruppstahl erscheint.
„Aua“, schreie ich und reiße beide Hände vors Gesicht.
Vor Schmerz.
Aber vor allem auch vor Scham.
Wie konnte mir DAS nur passieren?
„Hey, alter Junge, auch schon wach? Jetzt aber raus aus der Koje, es gibt Eier mit frisch gebrutzeltem Speck und frischen Kaffee. Nur Aufstehen musst du noch selbst“.
Das ist unzweideutig die Stimme von Joki, meinem Freund. Und genauso schnell wie der Schmerz in meinem Kopf nachlässt, fällt es mir nun auch wieder ein:
Keine durchzechte Nacht, kein fremdes Bett, keine fremde Frau, eigentlich überhaupt keine Frau!
Das hier ist Irland, der Erne, und ich mit drei weiteren Männern auf unserer ‚Herrentour 2005‘ !!!
Die anderen Herren, das sind: Joki, 37, sein Sohn Niclas, 9, mein Sohn Matteo, 5, und ich, 48.
Total erleichtert, in der letzten Nacht doch nicht versumpft zu sein – war wohl ein Alptraum – versuche ich vor meinen Kumpels trotzdem gelassen zu wirken.
„Na dann nach dem Frühstück direkt ‚Leinen Los‘ “ höre ich mich selbst sagen. Schon wieder ganz der Alte, denke ich, die Selbstsicherheit in Person.
Nach dem Frühstück hat die Selbstsicherheit in Person dann erstmal alleine abgespült.
Es war dann kurz nach neun, als wir den Nanni Diesel unseres Cruisers starteten, die Leinen klar machten und dann die Penichette 1120 sanft in die Strömung des Kanals gleiten ließen.
Ich blickte mich noch einmal um und sah die schöne Estelle am Fenster des Locaboat-Büros stehen. Sie lächelte mit ihren strahlend weißen Zähnen und winkte uns freundlich zu.
In zehn Tagen würden wir sie bei der Bootsrückgabe wiedersehen.
Von der Locaboat Marina in östliche Richtung sind es nur ein paar hundert Meter bis zur Ardrum-Lock. Beim Ansteuern dieser ersten Schleuse spürte ich plötzlich ein wenig Nervosität in mir hoch kommen. Würde das erste Anlegemanöver so funktionieren, wie ich es zur Vorbereitung unserer Tour in Gedanken immer wieder durchgespielt hatte?
Ich sah zu Joki nach draußen, wie er da im Nieselregen am Bug stand, die Vorleine in der Hand, bereit, auf den glitschigen Anleger zu springen um das Boot sicher an der eisernen Klampe zu vertäuen.
Der Mann strahlte Ruhe aus. Man sah es ihm genau an: Joki wusste genau was zu tun war. Keine Frage, jeder Handgriff würde sitzen.
Und ich, ich würde das Boot ganz sicher an den Jetty heran fahren!
Ein paar Sekunden später krachte das Boot voll mit dem Heck gegen den Anleger.
‚Zuviel gedreht‘, dachte ich und verkniff es mir laut zu fluchen.
Vier fragende Kinderaugen sahen mich verständnislos an. „Ist ja gut, ist ja gut,“ sagte ich, „beim nächsten mal klappt es bestimmt besser. Wo ist eigentlich Joki?“
Erschrocken sah ich zum Bug. Aber dort stand niemand mehr. ‚Bitte lass ihn nicht ins Wasser gefallen sein‘, schoss es mir durch den Kopf. ‚Wir sind doch gerade erst ein paar Minuten unterwegs, höchstens fünfhundert Meter gefahren. Nicht jetzt schon das erste Opfer. Wie soll ich das nur zuhause erklären?‘
„Jokiiii, bist du da?“, rief ich leicht panisch.
„Gut, dass die bei Locaboat so dicke Fender an ihre Boote dran machen,“ hörte ich eine Stimme hinter mir und drehte mich um.
Da stand mein Kumpel Joki am Heck unseres Bootes und grinste mich breit an. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass unsere Penichette achtern mit perfekten Kreuzschlägen an der Stegklampe vertäut war. Ich drehte meinen Blick zum Bug und sah, dass auch dort das Boot sicher festgemacht war.
Einerseits erleichtert, dass mein Freund nun wohl doch nicht in den dunklen Fluten des Flusses ersoffen war, hatte ich andererseits den süffisanten Unterton in Jokis Stimme bemerkt.
Aber dies sollte sich ziemlich schnell rächen, denn gerade als Joki am Bedienpult der automatischen Schleuse angekommen war, fing es richtig heftig an zu regnen. Als er jedoch keine Anstalten machte zurück ins trockene Boot zu kommen, dachte ich ’so ein sturer Hund‘, holte mir aus dem Kühlschrank eine Büchse Budweiser – es war schließlich schon nach 09:00 Uhr … – und ließ es mir nicht nehmen Joki zuzuprosten. Leicht gequält und mittlerweile schon pitschnass, lächelte er zurück.
Pech aber auch, dass er vergessen hatte, die Regenjacke anzuziehen.
Ich nahm einen kräftigen Schluck aus der Bierdose und stellte mir vor, wie das Regenwasser jetzt langsam aber stetig Jokis Nacken hinab laufen würde.
Schön trocken und im Warmen sitzend habe ich dann Ein- und Ausfahrt der Schleuse schulbuchmäßig gemeistert. Joki kam wieder aufs Boot zurück, murmelte irgendwas von ‚wer von euch hat denn dieses scheiß Wetter bestellt‘, entschwand dann in seiner Kabine, und das Boot glitt sanft den Shannon-Erne-Waterway hinab.
Es kam Wind auf.
Bei Einfahrt in den Garradice Lough sahen wir Schaumkronen auf dem Wasser. Eine gute Gelegenheit um zu testen, ob die Penichette tatsächlich so windanfällig sei, wie schon mal von so genannten ‚Experten‘ behauptet.
Und siehe da, das Boot ließ sich selbst in den kräftigeren Böen problemlos auf Kurs halten. Da die Wellen nicht sehr hoch waren, sind wir auch ein gutes Stück quer zum Wind gefahren, und auch das war ohne Weiteres möglich.
Da die Animal Farm erst gut einen Monat später ihre Saison starten sollte, sind wir dann geradewegs zum Haughtons Shore gefahren. Die Jungs wollten ‚endlich wieder angeln‘ und ihre Fangquote vom Abend vorher erhöhen. Sehr zum Erstaunen ihrer Väter hatten sie nämlich schon erstaunliches Glück beim Fischen gehabt.
Als Joki und ich noch damit beschäftigt waren uns auf unserem Boot halbwegs einzurichten, lagen die Jungs schon mit ihren Angeln auf der Lauer. Der kleine Matteo fing dann auch ziemlich schnell hintereinander zwei kapitale Brassen. Die passten gar nicht in die kleinen Kinderhände, so dass wir die Brassen fürs Trophäen-Foto im Kescher ließen, um sie dann wieder sorgsam zurück in den Fluss zu setzen. Die Jungs waren jedenfalls ob des Fangs hellauf begeistert und die Fahrt hatte somit für sie schon prächtig begonnen.
Im schnuckeligen Hafen von Haughton’s Shore lagen die beiden Fischkiller dann wieder auf der Lauer.
Matteo und Niclas ließen den Schwimmer ihrer Ruten keinen Moment aus den Augen.
Und es war Niclas, der heute den ersten Fisch landete: ein Mordsbarsch von guten 8cm Länge.
„Ich habe einen“, rief er hoch erfreut.
In diesem Moment tauchte auch Matteos Schwimmer unter Wasser.
Ganz klar ein Biss.
Sofort nahm mein Sohn die Angel in die Hand, schrie „ich hab auch einen, ich hab auch eineeeeeen“, und schlug die Angel fachmännisch an.
Allerdings muss er dabei noch an die schwergewichtigen Brassen vom Vortag gedacht haben. Jedenfalls riss er die Rute so schnell und so feste nach oben, dass der kleine Barsch am Haken gar nicht wusste, wie ihm geschah. Er mutierte jedenfalls zum ‚fliegenden Fisch‘, schoss aus ungefähr zwei Metern Tiefe aus dem Wasser und flog im hohen Bogen weit hinter Matteo ins Gebüsch.
Und obwohl der Drill genauso kurz wie der Fisch war, schwoll die Brust meines Sohnes vor lauter Stolz stark an. „Den will ich heute Abend essen“, sagte es mit tiefer, rauchiger Stimme, reichte mir die Angel mit dem zappelnden Bärschlein und sprach: „Mach du das, … ich hab jetzt Durst“. Sagte es, entschwand im Salon der Penichette und machte sich am Kühlschrank zu schaffen.
‚Was wird er jetzt wohl trinken‘, dachte ich, ‚eine Büchse Budweiser, einen tiefen Schluck aus der Paddypulle oder vielleicht doch nur einen Becher Limo?‘.
Am liebsten hätte ich ja dem kleinen Fisch die Freiheit wieder geschenkt, wollte mich dann aber doch nicht als Memme vor den Anderen outen.
Also nahm ich das Fischlein in die linke und den Fischtöter in die rechte Hand, blickte dem Barsch tief in die Augen, sagte ’sorry, ist nicht persönlich gemeint‘ und schickte ihn dann waidmännisch korrekt auf direktem Weg ins Nirwana.
Die Jungs haben dann noch eine ganze Reihe von kleinen Barschen gefangen. Aber nur einer musste noch fürs Abendessen ins Gras beißen. Die anderen wurden wieder frei gelassen.
Joki und ich haben derweil den ganzen Haughton’s Shore rauf und runter geblinkert.
Aber natürlich nichts gefangen.
Gegen vier Uhr sind wir dann weiter gefahren. Der Fluss hieß jetzt Woodford River und es war eine unglaublich schöne Fahrt durch eine unglaublich schöne Landschaft.
Kein anderes Boot ist uns begegnet.
Der Fluss gehörte uns ganz allein.
Es wurde langsam dunkel und es begann wieder zu regnen als wir Ballyconell ereichten. Wir waren schon längst unter der Brücke durch als uns einfiel, dass wir ruhig noch ein wenig Proviant machen könnten. Also drehten wir knapp 50 Meter vor dem Wehr ‚auf dem Teller‘ um, fuhren zurück und stiegen nach einem perfekten Landemanöver am einsamen Jetty von Ballyconell aus.
Den Supermarkt haben wir sofort gefunden. Es gab noch frisches Brot, frischen Salat und frisches Budweiser. Die Jungs bekamen eine Tüte Choco Pops und eine Tüte Milch.
Da waren wir alle glücklich und machten uns auf den Weg zurück zu unserer Penichette 1120R.
Wir fuhren anschließend noch durch die Schleuse und machten direkt dahinter auf der linken Seite des Flusses fest für die Nacht. Joki hat dann die Barsche gebraten, die Jungs haben sie aber nicht gegessen.
Warum auch, es gab ja Choco Pops mit leckerer H-Milch.
Also aßen Joki und ich die Barsche, tranken Budweiser und genehmigten uns einen satten Schluck Paddy.
Das Leben ist schön.
Der Woodford River ist mit das atemberaubendste, was ich bisher landschaftlich gesehen habe. Als wir am nächsten Morgen schon ziemlich früh weiter fuhren, fühlten wir uns wie im Paradies.
Ich dachte an die Jungs vom Shannon-Forum. Anonyme Gestalten, ohne Stimme, ohne Gesicht.
Miteinander verbunden nur durch einen Bildschirm zum Lesen und eine Tastatur zum Schreiben.
Und alle schreiben sie, wie schön dieses Land sei, dass es süchtig mache, und überhaupt, wenn man einmal ‚dahin‘ gefahren sei, wolle man gar nicht mehr woanders hin.
Kann gut sein, dass die Recht haben, dachte ich. Einen von ihnen sollte ich ja auf dieser Tour noch später kennen lernen.
Irgendwann ist der Woodford River zu Ende und mündet in den River Erne.
Rechts geht es nach Belturbet, links nach Crom Castle.
Wir fuhren links herum.
Kein Mensch, kein anderes Boot weit und breit zu sehen. Wir legten am verwaisten Jetty von Crom Castle an.
Die Sonne schien und ich sagte zu meinem Sohn: „Komm Junge, wir nehmen das Dinghy und gehen auf Hechtfang“.
Wir stiegen ins Boot legten eine Schleppangel aus und fuhren mit niedrigster Geschwindigkeit ganz nah am Schilfgürtel entlang. Wir hatten jede Menge Hänger, haben aber keinen Wobbler verloren.
Dafür haben wir aber auch keinen Hecht gefangen.
Nach gut einer Stunde sind wir zurück zum Jetty. Jetzt waren Joki und Niclas dran. Sie fuhren los und schon nach ein paar Minuten hörte ich ihr freudvolles Gejaule.
‚Verdammt‘, dachte ich, ‚die haben was gefangen‘.
Kurze Zeit später bogen Joki und sein Sohn um die Ecke.
Tatsächlich, sie hatten einen schönen Hecht gefangen. Vielleicht einen guten halben Meter lang und drei bis vier Pfund schwer. Der Gute wurde dann erstmal von allen Seiten fotografiert.
Leider stellte sich heraus, dass er nicht ganz gesund war: der Hecht hatte ein Geschwür an der linken Lende.
Mit Essen war also nix, und frei lassen auch nicht. Joki schickte ihn folglich den Barschen hinterher. Beim Abendessen gedachten wir dem Hecht ergebendst mit einem kräftigen Schluck Paddy.
Gegen zwei Uhr sind wir dann in die Trial Bay gefahren. Hier waren wir mit Udo Vogel aus dem Shannon-Forum verabredet. Dummerweise hatten Udo und ich allerdings keine Uhrzeit ausgemacht.
Weder die Jungs noch ihre Väter haben in der Trial Bay einen Fisch gefangen. Es war wie verhext. Zweieinhalb Stunden sinnloses Blinkern und eine Handvoll prächtiger Maden verheizt.
Aber kein Biss.
Und um fünf war von Udo Vogel auch nichts zu sehen. Also haben wir abgelegt und sind Richtung Belturbet gefahren.
Wie sich später heraus stellte, war der Udo mit seinen Leuten kurze Zeit später am Trial Bay Jetty, aber da waren wir, wie bereits gesagt, schon weg.
Die Fahrt nach Belturbet war wieder richtig schön. Die Sonne ging im Westen langsam unter und warf lange Schatten aufs Wasser.
Wir genossen die Landschaft und fuhren dead slow an Anglerstegen und ein paar privaten Marinas vorbei.
Am Public Jetty in Belturbet stand dann eine wunderschöne Barge quer in der Fahrrinne und versuchte verzweifelt zu drehen.
Ich hielt voll auf die Barge zu. Ungefähr zwanzig Meter vor der Kahn wendete ich die Penichette ohne die Fahrt zu drosseln über die Backbordseite und legte in einem Rutsch perfekt am Jetty an. Mann, war das gut!
Die Barge versuchte das ein wenig später auch, krachte aber ziemlich frontal mit dem Bug auf den Anleger. Sofort lief ich hin um beim Festmachen zu helfen. Aber als mich die Besatzung der Barge sah, legten sie Ruder hart Backbord und sind Richtung Norden entschwunden.
Die Jungs haben dann am Steg die nächsten Maden geopfert, aber nix gefangen.
Wir sind dann hoch in den Ort gegangen um in einem Pub lecker zu essen. Es war aber Karfreitag und die Pubs hatten alle geschlossen. Der einzige Laden, wo es was Essbares zu kaufen gab, war ein Fish & Chips Laden mit dem typisch irischen Namen ‚Venice Cafe‘.
Ich identifizierte den stämmigen Besitzer mit geölten Haaren und seine stämmige Frau mit fettiger Schürze als Sizilianer. Das war wohl auch der Grund, warum es in diesem Laden neben Fish & Chips auch Pizza gab.
Die Jungs wollten Pizza, Joki und ich bestellten nach alter Landessitte Fish & Chips.
Die Zubereitung dauerte jedoch eine ganze Weile, außerdem waren noch eine Reihe von irischen Halbwüchsigen vor uns dran. So ging eine Tüte Fish & Chips nach der anderen über die Theke. Vorher wurde aber noch gefragt „would you like your chips salt and vinegar?“:
Die meisten bejahten, also wurde oben in die Tüte der große Salzstreuer kurz hin und her geschwenkt und dann noch eine Flasche mit hellem Essig drüber gehalten.
Pommes mit Essig?
Bah.
Irgendwie wurde mir leicht flau im Magen.
Es war dann lustig anzuschauen, wie sich eine Gruppe von fünf jungen Leuten in einen vor der Tür parkenden Ford Fiesta zwangen und ihre vor Fett triefenden Tüten aufrissen.
Lecker.
Lecker war unser Fisch dann auch. Schöner fester Kabeljau, auf den Punkt gegart. Und die Fritten waren auch klasse.
Eine Gruppe ziemlich herb aussehender Rabauken kam herein.
Alle kurz rasiertes Haupthaar.
Zwei hatten wilde Tattoos auf ihren Hälsen.
Sie bestellten Fish & Chips, Hamburger und auch Roasted Chicken. Plötzlich ging hinter der Theke alles blitzschnell, die Jungs bekamen im Handumdrehen ihr Essen.
Insgeheim hatte ich gehofft, sie nähmen ihr Essen und verschwänden damit nach draußen.
Aber nix da, die blieben.
Joki bekam von all dem nichts mit. Brav mampfte er seine Tüte leer.
Ich aber machte Platz am Stehtisch und sagte zu den Halbstarken „you may come over here“.
So ein großer Kräftiger mit schwarzer Lederjacke lächelte mich freundlich an, schüttelte mit dem Kopf und brabbelte irgend was von wegen, unsere Jungs seien ja noch nicht mit dem Essen fertig, schob seine rechte Pranke wieder in seine Fischtüte, holte ein Stück fettigen Kabeljau heraus und ließ dieses genüsslich in seinem Mund verschwinden. Dabei kniepte er mir mit dem linken Auge zu und lächelte wieder breit übers ganze Gesicht.
Na ja, vielleicht waren die Jungs ja doch ganz nett.
Auf dem Rückweg zum Boot gingen wir dann noch mit unseren eigenen Jungs auf einen ziemlich coolen Spielplatz. Ich holte von der Penichette zwei Büchsen Budweiser, damit Joki und ich auch ein wenig Spaß hatten.
Am nächsten Morgen legten wir noch vor dem Frühstück ab und fuhren durch die wunderschönen Quivy Waters in nördliche Richtung.
Die Nacht verbrachten wir in Naan Island.
Mittlerweile zeigte unsere Abwasseranzeige an, dass wir uns um eine erste Entleerung kümmern sollten.
Also fuhren wir am Sonntag morgen nach Knockninny. Der pump out funktionierte tadellos und ich wunderte mich noch, dass das Abwasser, welches da durch den durchsichtigen Schlauch rauschte, so absolut sauber aussah. Na ja, so genau wollte ich es dann auch nicht wissen und ging stattdessen mit Matteo in die öffentliche Dusche. Diese war unverschlossen, gereinigt und menschenleer.
Der Lichtschalter funktionierte nicht, dafür war das Duschen umsonst, das Wasser angenehm warm und ausreichend vorhanden.
Alles in allem sehr empfehlenswert.
Auf der Fahrt Richtung Enniskillen beschlossen wir ein paar Biegungen hinter Carrybridge zum ersten mal zu Ankern.
Selbiges klappte auf Anhieb problemlos. Danach folgte dann die gleiche Prozedur wie in Crom. Ich stieg ins Dingi blinkerte und schleppte die ganze Bucht ab, aber außer ein paar Hängern, nichts gewesen.
Danach fuhren Joki und Niclas raus, und wieder hörte ich nach wenigen Minuten ihr Indianergeheul. Wieder hatten sie einen schönen Hecht gefangen, noch ein wenig größer als der erste. Die Jungs wollten ihn unbedingt zum Abendbrot, aber wir überzeugten sie davon, dass so ein schönes Tier am besten weiter leben sollte. Also ließen wir ihn, nachdem der Drilling aus dem Maul schadlos entfernt war, sanft in die Tiefen des Ernes hinab gleiten.
In Enniskillen angekommen genossen wir den unglaublichen Blick auf die Burg, deren Namen mir im Moment einfach nicht von der Zunge will, aber die Insider wissen sicher ohnehin Bescheid, wen oder was ich meine…
Wir legten am Supermarkt-Jetty an, wo bereits eine ganze Reihe von Booten lagen. Als wir unseren Kahn festgemacht hatten, kam ein freundlicher älterer Herr auf uns zu und meinte, der Supermarkt hätte heute wegen Ostersonntag ausnahmsweise geschlossen.
Na super, dachte ich, erst der Karfreitagsflop in Belturbet, jetzt Ostersonntag Schotten dicht in Enniskillen.
Da wurde mir mal wieder bewusst, dass es wohl eine richtige Entscheidung war, bereits vor über 20 Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten zu sein.
Der freundliche ältere Herr erklärte uns, dass der 24 Stunden Shop in der Nähe der Anne Street in jedem Fall geöffnet hätte. Wir bedankten uns für die Auskunft in bestem Schulenglisch, fuhren mit unserem Boot zum Round ‚O‘ Jetty und gingen von dort aus über die Erne (West) Bridge zur Anne Street. Der 24 Stunden Shop entpuppte sich als eine Kombination aus moderner Tankstelle und bestens ausgestattetem Lebensmittelladen.
Ich überredete Joki Hackfleisch zu kaufen, zwecks abendlicher Herstellung von Frikadellen.
Eigentlich wollten wir ja noch Sprit fürs Dingi kaufen, aber wir hatten den Kanister auf dem Boot vergessen. Dies sollte sich am nächsten Tag noch rächen.
Wir sind anschließend noch in einen vereinsamten Pub eingekehrt und haben dort mit den Jungs eine launige Partie Billard gespielt.
Außerdem hatten Joki und ich beschlossen, hier in dieser Kneipe, unser erstes und vermutlich auch letztes Guiness in diesem Urlaub zu trinken.
Uns schüttelte es beide bei dem Gedanken, die ölig muffige Brühe trinken zu müssen. Uns war aber klar, dass wir da durch mussten. Wer nach Irland fährt, muss auch Guiness trinken.
Na ja, eins reichte dann aber auch völlig.
Allen eingefleischten Ich-trinke-in-Irland-immer-nur-Guiness-Fans, die jetzt ob unseres Outings begonnen haben uns zu hassen, sei gesagt, dass Guiness noch tausend mal schlechter schmeckt, als Düsseldorfer Alt-Bier. Und das ist wahrlich schon die reinste Hölle.
Ok, ok, jetzt kann ich es ja zugeben: Joki und ich sind Kölner.
Alaaf.
Wir sind dann wieder Richtung Norden aufgebrochen. Die Nacht wollten wir in Devenish Island verbringen.
Aus der Ferne sahen wir, dass dort der Anleger bereits mit drei großen Booten belegt war. Zwei fette Kähne von Manor House Marine, eins von Carrickcraft.
Es wehte ein kräftiger auflandiger Wind. Das Anlegen würde bestimmt nicht einfach werden. Wir sahen, dass links von dem zweiten Manor House Boot noch Platz am Steg war. Allerdings war diese Stelle bereits ziemlich nah am steinigen Ufer gelegen.
Viele Versuche da anzulegen, würde es wegen des Windes mit Sicherheit nicht geben. Der erste Versuch musste direkt sitzen, sonst bestand Gefahr, dass uns eine Böe aufs Ufer drücken würde.
Als uns die Besatzungen der beiden Manor House Boote erblickten, verschwanden sie sofort unter Deck.
Mit deren Hilfe war wohl nicht zu rechnen.
Wie sich später in Kesh herausstellte, waren es Deutsche.
Vielleicht sogar Düsseldorfer.
Unser Anlegemanöver klappte auf Anhieb, wir waren halt mittlerweile ein bestens eingespieltes Team.
Als unser Boot mit drei Leinen fest vertäut war, stellten wir fest, dass wir uns ziemlich dreist zwischen die Manor House Boote einerseits und dem schönen Devenish Island andererseits gezwängt hatten. Jedenfalls haben wir den Deutschen die freie Sicht auf die prachtvolle Insel mit unserer Penichette nun ziemlich versperrt.
Ätsch, das hatten die jetzt davon.
Joki machte sich dann ziemlich schnell in der Kombüse zu schaffen und bereitete frische Frikadellen mit Bratkartoffeln und Tomatensalat zu.
Ich sag’s euch: das war eine absolute Delikatesse.
Und überhaupt: für mich ist Joki einer der besten Köche der WELT. Er hat ein sagenhaftes Talent zum Kochen. Gierig zogen wir uns die Frikadellen rein, bis keine mehr da war. Danach zwangen wir die Jungs zu einer Nachtwanderung rund um die Klosterruinen.
Am nächsten morgen wollten wir in Manor House den von Insidern so viel gerühmten Räucherlachs kaufen. Es gab aber keinen, angeblich war’s noch zu früh in der Saison.
Sprit fürs Dinghy gab es da auch nicht zu kaufen. Dies versetzte unsere beiden Jungs in leichte Panik. Dinghy fahren war für sie nach Angeln das Schönste hier auf unserer Tour.
Bei Manor House sagte man uns, Dinghy Sprit gäbe es in Castle Archdale. Also, nichts wie dahin.
Als wir in den Hafen einfuhren flitzen jede Menge Schlauchboote und lustige Jetskis um uns herum. Wäre ich König von Irland, würde ich Jetskis verbieten oder zumindest nach England verbannen. Und Schlauchbooten, die sinnlos durch die Gegend brettern, würde ich die Luft rauslassen.
Der Public Jetty war ziemlich überfüllt.
Ich zeigte Joki, der am Ruder saß, eine etwas knappe Anlegemöglichkeit hinter einer protzigen Jacht am Privatanleger. Joki nickte und steuerte darauf zu. Eigentlich hat er alles richtig gemacht. Vielleicht ein klein wenig zuviel Speed oder ein klein wenig zu spät den Rückwärtsgang eingelegt, jedenfalls hatte er wohl plötzlich Schiss auf die Jacht aufzufahren. Ohne Kompromisse machte er nun volle Fahrt zurück. Unser Dinghy kam dabei irgendwie schief hinters Boot und wurde vom Heck der Penichette unter Wasser gedrückt. Ich sah, wie es rasend schnell voll Wasser lief.
„Stop“, schrie ich, „das Dingi läuft voll, stoooppppp!!!“ Die Maschine stoppte, das Dinghy war gut zu zwei Dritteln voll gelaufen, aber zum Glück nicht abgesoffen. Wir machten dann erst mal die Penichette am Steg fest, dann wurde das Dinghy leer geschöpft.
Ich ging derweil mit dem Benzinkanister den Privatsteg Richtung Ausgang. Aber da ging es nicht raus, am Tor hing ein fettes Vorhängeschloss.
Stock sauer ging ich zu meinen Jungs zurück und sagte ihnen, dass wir wieder ablegen und dann doch irgendwo noch am öffentlichen Anleger festmachen müssten.
Wir fuhren die Penichette ganz dreist bis kurz vor den Slipway und parkten mit dem Bug in einer kleinen Lücke am Steg.
Ich ging mit dem Kanister zur Zapfsäule und es kam auch direkt ein freundlicher junger Mann und fragte: „Can I help you?“, „Yes, we need some fuel“, erwiderte ich und reichte ihm den Kanister, welcher dann auch sofort gefüllt wurde. Ich schaute mir die Zapfsäule ein wenig genauer an und fragte mich, ob diese noch von vor dem zweiten Weltkrieg oder doch erst danach gebaut worden war. Auf jeden Fall gab es in dieser Zapfsäule nur eine Sorte Treibstoff, soviel war klar. Wenn jetzt nun aus dieser Benzin kam, wo tankten denn dann die ganzen Jachten ihren Diesel, fragte ich mich, denn weit und breit war keine zweite Zapfsäule zu sehen.
Der junge Mann schraubte den Deckel auf den gefüllten Kanister, reichte ihn mir und zeigte auf ein Holzhaus, wo ich anscheinend zahlen sollte. Das Holzhaus war wohl Büro des Hafenmeisters, Andenken-/Getränke- und Eisshop sowie Spritzahlstelle in einem. Außerdem gab es da tolles Angelzubehör zu kaufen. Mein Blick saugte sich sofort an einem riesigen zweigeteilten Wobbler fest, der in grün und rot schimmerte.
Der Chef im Shop schaute sich den Kanister an, schüttelte den Kopf, sprach dann mit dem jungen Mann irgend etwas Irisches, was ich nicht mal ansatz- weise verstehen konnte und zeigte auf eine große Tonne, die in einem Nebenraum stand. Da war mir dann klar, dass das im Kanister kein Benzin sondern tatsächlich Diesel war, welcher jetzt gerade von dem jungen Mann in die große Tonne im Nebenraum geschüttet wurde.
In bestem Schulenglisch fragte ich, wo ich denn nun endlich Sprit fürs Dinghy bekäme. Man war sich einig, dass wir dafür nach Kesh fahren müssten. Immerhin gute 90 Minuten Fahrt.
Na ja, was soll’s, wir hatten ja sonst nichts zu tun.
Ich kaufte dann noch den grün-rot schimmernden Monster-Wobbler („this one is very good for big pikes…“), nahm den leeren Kanister an mich und ging wieder zurück zu unserem Boot. Als Niclas hörte, dass wir immer noch keinen frischen Sprit fürs Dinghy hatten, schossen ihm schon fast die Tränen der Verzweiflung in die Augen.
Wir mussten also nach Kesh.
Auf dem Weg dorthin hatten wir dann Gelegenheit über die schier endlose Weite des Lower Lough Erne zu blicken. Hier waren auch keine lästigen Schlauchboote und vor allem keine Jetskis mehr. Eigentlich sahen wir überhaupt keine anderen Boote mehr.
Der See gehörte uns.
Die Auffahrt nach Kesh führt durch ein sehr kurvenreiches, idyllisches Flüsschen, die Fahrrinne noch viel enger als im SEW.
In Kesh angekommen machten wir dann ein ähnliches Anlegemanöver wie in Belturbert, nur dass diesmal keine Barge quer in der Fahrrinne stand.
Das Manöver klappte jedoch wieder ganz hervorragend. So, als hätten wir noch nie in unserem Leben etwas anderes gemacht.
Und wir hatten sogar einen Zuschauer!
Wir machten uns dann zu viert auf den Weg. Die Jungs dachten wohl, wo es Sprit gibt, gibt es mit Sicherheit auch Eis.
Auf der Hauptstraße sahen wir weder rechts noch links eine Tankstelle, also gingen wir in ein Geschäft und fragten die bidhübsche junge Verkäuferin nach dem Weg.
„Oh, take your left and then it’s just a five minutes walk“, sagte sie. Widerwillig rissen wir unsere Blicke von der irischen Augenweide los und gingen wie uns gesagt worden war.
Wir gingen durch Kesh durch, wir gingen aus Kesh heraus und wir gingen an grünen Wiesen mit meckernden Schafen vorbei, aber von einer Tankstelle war erst mal weit und breit nichts zu sehen.
Eine solche erreichten wir dann erst nach fast einer Stunde. Da musste ich an die bildhübsche junge Verkäuferin denken, wie sie sich vermutlich nachher schlapp lachen würde, wenn wir mit hängender Zunge wieder an ihrem Laden vorbei schlurften. ‚Touris foppen‘, heißt das Spiel.
Egal.
Die Jungs hatten jetzt wieder Treibstoff fürs Dinghy.
Das war die Hauptsache. Sollte der Ziege doch das Lachen im Hals stecken bleiben.
Es dämmerte schon ziemlich als wir in Lusty Beg ankamen. Der Jetty war komplett belegt. Bei ablandigem Wind legten wir an einer Privatjacht an.
Nachts um vier bin ich wach geworden, weil unser Beiboot im 20 Sekundentakt an unsere Penichette donnerte. Der Wind hatte ziemlich aufgefrischt.
Wie lange das schon so ging, wusste ich nicht.
Genauso wenig, ob unsere im Päckchen liegenden Nachbarn von der Bumserei ebenfalls im Schlaf gestört wurden. Das blieb aber auch ein Geheimnis, denn am nächsten Morgen legten wir in aller Frühe noch vor dem Frühstück ab und starteten zur Seeüberquerung.
Frühstück sollte es erst in Magho geben.
Wir hatten ja schon viele Schauergeschichten vom Lower Lough Erne gehört, von der Gefahr bei kräftigen Wind und von zwei Meter hohen Wellen.
Wir hatten aber Glück. Bei unserer Passage war der See spiegelglatt.
Von Magho aus sind wir dann nach Belleek gefahren.
Von Udo Vogel hatte ich den Tip, dort ein Taxi zu nehmen um zur Küste zu fahren. Dort gäbe es hoch über den Klippen einen urigen Gasthof namens ‚Smugglers Creek‘.
Die Aussicht war wirklich atemberaubend. Von hoch oben blickst du über den Atlantik und die schöne weitläufige Bucht. Ein echtes Highlight.
Ebenfalls ein Highlight ist die Kneipe. Das wussten aber außer uns auch noch eine ganze Reihe anderer Leute. Jedenfalls war der Laden brechend voll. Trotzdem ergatterten wir ziemlich schnell einen Tisch am Fenster. Dort gab’s dann wieder ein leckeres Budweiser für die Väter, Coca Cölchen für die Jungs.
Als wir zurück zum Hafen in Belleek kamen, war dieser mittlerweile gut mit Booten belegt. Bei unserer Ankunft mittags waren wir noch allein.
Wortlos waren wir uns einig, dass uns das viel zu viel Trubel war. Folglich legten wir sofort ab und begannen unsere Rückreise.
Es war auch schon nach vier Uhr. Als Ziel für die Nacht hatten wir uns Tully Castle ausgesucht. Und bis dahin waren es bestimmt zweieinhalb Stunden Fahrt.
Das einzige Boot, das uns auf der langen Fahrt begegnete war kurz vor Tully Castle ein Dinghy, welches zwei Schleppangeln ausgelegt hatte.
Der Jetty in Tully Castle ist recht klein, und als wir in Sichtweite kamen sahen wir, dass bereits zwei Boote dort lagen.
Wir wollten schon fast wieder abdrehen und in Jason’s Walk unser Glück versuchen, da sahen wir einen uns wild zuwinkenden Menschen auf dem Tully Castle Anleger. Ich blickte durchs Fernglas und erkannte dann den Mann. Es war unverkennbar Udo Vogel. Wir hatten uns also doch noch getroffen.
Es wurde ein sehr schöner Abend, mit vielen netten Geschichten und vielen netten Gläsern Jameson.
Und der Udo weiß jede Menge zu erzählen. Es war wirklich spannend ihm zuzuhören.
Nichts desto trotz sind wir am nächsten Morgen wieder früh aufgestanden, besuchten das Schloss und machten dann die Leinen noch vor dem Frühstück los.
Udo kam noch aus seiner Koje raus und wir verabschiedeten uns herzlich.
Gefrühstückt wurde in der schönen Bucht von Carrickreagh. In der Gewässerkarte steht zwar über diesen Jetty, dass er „popular with waterskiers“ sei, aber wir hatten Glück: die Bucht gehörte uns ganz alleine.
Allerdings hat da kein einziger Fisch angebissen.
Na ja, man kann halt nicht alles im Leben haben.
Wir haben dann in der Bucht mehrfach das „Mann-über-Bord-Manöver“ geübt. Die Jungs hatten jedenfalls ziemlich viel Spaß dabei.
Später in Enniskillen kauften wir noch mal kräftig ein und sind dann weiter gefahren zum Arney River. Dort sind wir in der Abendsonne vor Anker gegangen. Während ich Ankerwache hielt, ist Joki mit den Jungs im Dinghy ein gutes Stück den Arney River rauf gerudert und hat geangelt. Es hat aber mal wieder kein Fisch gebissen.
Gegen halb sieben lichteten wir den Anker und sind ein Stück zurück zum Cloonatrig Jetty gefahren. Der Anleger war uns auf der Hinfahrt aufgefallen und wir hatten schon da beschlossen, dort die Nacht zu verbringen.
Es wurde schon dunkel als wir die Penichette am Steg festmachten. Joki machte sich an den Töpfen zu schaffen und die Jungs haben „Wilde Kerle“ von CD gehört.
Zeit für mich, meinen in Castle Archdale erstandenen Monsterwobbler zu testen.
Ich ging zum Ende des Stegs und warf den Wobbler so ungefähr 10 Meter weit zu einem im Wasser liegenden Strauch.
Der Wobbler flog genau zu der Stelle, die von mir anvisiert war. Ich schloss die Rolle und begann langsam die Kurbel zu drehen.
Irgendwas hakte.
‚Ein Hänger‘, dachte ich.
Aber der ‚Hänger‘ zuckte leicht.
Da schlug ich die Rute etwas an und es zuckte in der Angelspitze noch etwas mehr.
‚Ein Fischlein hat angebissen‘, dachte ich vergnügt, ‚wie süß!‘
In dem Moment brach die Hölle los.
Das ‚zuckende Fischlein‘ war plötzlich überhaupt nicht mehr süß, sondern entpuppte sich als mittelschweres U-Boot. Die Rute bog sich stark durch und die Rollenbremse jaulte laut auf. Ich stellte die Bremse ein klein wenig fester ein und befahl meiner rechten Hand, die die Rute hielt, jeder Bewegung des Fisches zu folgen.
Und dieser Fisch war richtig kräftig.
Er schoss nach rechts, er schoss nach links, nach vorne, nach hinten, nach unten.
Und dann kam er an die Wasseroberfläche. Der Hecht war riesig. Über einen Meter lang und bestimmt acht, neun oder auch zehn Kilo schwer.
Wild schlug er mit seiner Schwanzflosse und fegte dabei einen Wasserschwall in meine Richtung. Dann tauchte er wieder ab und zog kräftig Schnur von der Rolle.
Ich rief zum Boot: „Hey Jungs, kommt mal schnell her. Ich habe einen Riesen an der Angel. Und bringt den Kescher mit!“
Wenige Augenblicke später war die Verstärkung eingetroffen. Der Hecht wehrte sich noch immer kräftig. Als er wieder an die Oberfläche kam, schlug er erneut mit der Schwanzflosse. Die Jungs zuckten zurück.
Nach ein paar ein paar endlos erscheinenden Minuten schien der Hecht müde geworden zu sein. Während ich versuchte, den Fisch an der Wasseroberfläche zu kontrollieren, versuchte Joki das Monster zu keschern.
Und was ich euch jetzt erzähle, ist kein Anglerlatein. Ihr könnt Joki und die Jungs fragen. Jedenfalls passte in den Kescher gerade mal der Kopf des Hechtes hinein. Keine Chance ihn damit zu landen.
Wieder schlug der Hecht wild um sich. Wasser spritzte auf und Joki sprang zurück.
„Nimm du mal die Angel und gib mir mal den Kescher“, sagte ich.
Das Netz in der Linken, versuchte ich damit wieder den Kopf des Fisches zu fangen, mit meiner rechten Hand wollte ich dann den Fisch am Schwanz packen.
Ich sah, dass der Hecht nur noch an einem Haken des einen Drillings hing. Jetzt musste es schnell gehen, sonst würde er sich womöglich noch gänzlich los reißen.
Ich führte den Kescher über den Kopf des Hechtes. Der Fisch blieb dabei zunächst ruhig. Aber als ich ihn mit festem Griff an der Schwanzflosse packte, bäumte er sich noch einmal auf und schlug wieder wild um sich.
Dabei verfing sich der Drilling im Netz des Keschers. Und mit einem weiteren kräftigen Ruck mit dem Kopf löste sich auch der letzte Haken im Maul des Fisches.
Er war wieder frei.
Der Hecht drehte sich auf die Seite, so, als wolle er uns mit seinem linken Augen noch einmal ganz genau ansehen. Dann glitt er wie in Zeitlupe in die Tiefen des Ernes hinab.
Irgendwie war ich erleichtert. Ich hatte zwar kein Trophäenfoto, aber dafür die Gewissheit, dass dieser tolle Fisch noch lebte. Und das war ein gutes Gefühl.
Wir sind dann wieder zurück auf unser Boot und haben an diesem Abend noch lange über dieses außergewöhnliche Erlebnis erzählt. Matteo war voll begeistert, dass sein Papa bislang den größten Fisch an der Angel hatte.
Am vorletzten Tag unserer Reise sind wir bis Haughtons Shore gefahren. Eine ziemlich lange Strecke, aber wir hatten uns schon auf der Hinfahrt vorgenommen zu diesem wirklich schönen Hafen zurück zu kehren. Jetzt wollten wir da auch übernachten.
Die Jungs fanden die Idee auch gut („Ist das da, wo wir die Barsche gefangen haben?“).
Außerdem freuten wir uns auch auf die Schleusen.
Bei Lock #1 saß Joki am Ruder. Er ließ Matteo und mich am Anleger raus und wir gingen hoch zum Schleusenbedienpult.
Wir mussten erst das Wasser aus der Schleuse heraus lassen und öffneten dann ein paar Minuten später die Tore. Joki und Niclas konnten jetzt mit der Penichette in die Schleuse einfahren.
Aber es kam niemand.
Da wir vom Bedienpult aus das Boot nicht sehen konnten, wussten wir allerdings nicht, warum.
Bekam Joki den Motor nicht an?
War er eingeschlafen oder war er gerade bei der Verrichtung eines dringenden menschlichen Bedürfnisses?
Gerade als Matteo und ich nachschauen wollten, bog die Penichette in die Schleuse ein.
Ich sah Joki und ich sah sein breites Grinsen. Und dann, als ich auf die Heckterrasse schauen konnte, sah ich den Grund für die verzögerte Einfahrt: Joki hatte mal wieder einen tollen Hecht gefangen. Während er drauf wartete, dass die Schleusentore für seine Einfahrt geöffnet wurden, hat er vom Boot aus ein paar mal geblinkert. Und mal wieder Glück gehabt.
Joki, the Pike Killer.
Dieses mal wurde der Fisch auch tatsächlich gekillt. Die Jungs wollten unbedingt Hecht zum Abendessen.
Dieser Wunsch wurde befolgt und so gab es abends ‚Brochet au Citron‘ aus dem Ofen.
Irgendwie kam aber beim Essen keine richtige Begeisterung auf. Der Geschmack war fad und die Konsistenz des Fischfleisches erinnerte ein wenig an Gummi.
Na ja, muss es ja auch nicht jeden Tag zum Essen geben.
Am nächsten Morgen wurde ich wieder ziemlich früh wach. Die Sonne war gerade dabei aufzugehen. Im Zwielicht schaute ich zu meinem Sohn Matteo, der in der Nacht wieder mit seinem Bettzeug zu mir ins Bett gekrochen war.
Er schlief friedlich.
Wie immer lächelte er im Schlaf.
Es war Freitag, der letzte Tag auf unserer Bootstour. Schon mit etwas Wehmut dachte ich an die letzten neun Tage zurück und ging noch einmal in Gedanken die gesamte Fahrt durch. Ich dachte an diese fantastischen Landschaftsbilder, an die friedvolle Ruhe auf dem Wasser, an die glücklichen Kinderaugen unserer Söhne, die von unserer Abenteuerfahrt restlos begeistert waren. Und nicht zuletzt dachte ich auch an die leckeren Mahlzeiten, die Joki für uns jeden Tag gekocht hat.
Wie gerne hätte ich verlängert.
Matteo muss meine Gedanken gespürt haben. Plötzlich machte er die Augen auf, sah mich an und fragte sofort: „Ist das heute unser letzter Tag?“
„Ja“
„Schade“, meinte Matteo.
„Komm, lass uns aufstehen und es heute noch einmal richtig krachen lassen“, sagte ich, sprang aus meinem Schlafsack raus und in die Jogginghose hinein, warf den Nanny Diesel an und ging nach draußen um die Leinen los zu machen.
Joki und Niclas haben von all dem nichts mitbekommen. Sie schliefen noch tief und fest als unsere Penichette bereits majestätisch über den Garradice Lough glitt.
Ich saß am Steuer, Matteo mampfte die erste Portion Choco Pops des Tages.
Das Leben ist schön.
Am frühen Vormittag kamen wir in Ballinamore an. An der Locaboat Marina war reger Betrieb und deswegen gaben wir zwei lange Huptöne zur Begrüßung als wir vorbei fuhren. Freundlich winkte man uns zu.
Joki und ich hatten beim Frühstück besprochen, dass wir noch ein gutes Stück hinter Ballinamore die Gegend erkunden wollten. Erst am Abend sollte es dann zur letzten Nacht zurück zu unserer Marina gehen.
In einem kleinen See gingen wir vor Anker und Joki und Niclas stiegen sogleich ins Dinghy. Ihr Jagdfieber brannte immer noch lichterloh, sie wollten es einfach noch einmal wissen.
Matteo zog es vor noch einmal die Wilde Kerle CD zu hören. Ich blinkerte derweil vom Deck der Penichette aus. Natürlich ohne was zu fangen. Als mir das dann zu langweilig wurde, nahm ich das Fernglas zur Hand und beobachtete die Aktivitäten im Dinghy. Die Jungs waren gut 100 Meter von mir entfernt aber ich konnte deutlich sehen, dass da gerade etwas Besonderes passierte. Niclas hielt die Rute in der Hand, deren Spitze stark durchgebogen war. Das deutete entweder auf einen Hänger oder auf einen Biss hin. Hatte Joki schon wieder zugeschlagen?
Oder besser gefragt: Hatte Niclas da etwa seinen ersten Hecht an der Angel?
Ja, so musste es sein, denn ich sah Joki mit dem Kescher in der Hand beim Versuch den Fang zu landen. Plötzlich sprang der Hecht mit einem großen Satz aus dem Wasser. Joki und Niclas schreckten zurück, fielen aber zum Glück nicht über Bord.
Der Drill dauerte noch eine ganze Weile und Niclas kämpfte mit dem Fisch als ginge es um Leben und Tod.
Nach endlosen Minuten gelang es dann Joki den Hecht zu keschern und ins Dinghy zu holen. Sofort gab ich drei lange Huptöne und winkte den beiden zu.
Und dann kamen sie auch schon mit Vollgas angerauscht.
Niclas strahlte über beide Ohren. „Ich habe einen Hecht gefangen“, rief er laut. Matteo, der inzwischen aus dem Salon gekommen war, und ich standen an der Reling und applaudierten kräftig.
Und es war ein Mordsbrummer, den Niclas da am Haken hatte. Der Hecht hatte den Blinker unüblicherweise ziemlich tief geschluckt, somit hing der Drilling weit im Schlund bei ihm fest drin.
Damit der Hecht das überlebte, musste jetzt alles recht schnell gehen. Mit einer Maulsperre öffneten wir ihm den mit kräftigen Zähnen ausgestatteten Mund und ich löste mit einer langen Spitzzange nacheinander alle drei Haken aus dem Rachen des Fisches. Während dieser Zeit verhielt sich der Hecht ganz ruhig. Wir machten dann noch schnell ein paar Fotos von Niclas mit seinem Fisch, danach ließ der über beide Ohren strahlende Junge seinen Hecht wieder zurück in den See gleiten.
Nur der Ordnung halber will ich an dieser Stelle noch erwähnen, dass ich hiernach auch noch mein Glück versuchte. Mit Matteo ging ich noch einmal eine gute Stunde schleppen. Irgendwann hatte mein Sohn allerdings keine Lust mehr und meinte, ihm sei kalt, und überhaupt, wir würden ja sowieso nichts mehr fangen…
Wir lichteten den Anker und fuhren zurück nach Ballinamore zur Locaboat Marina.
Nachdem wir unsere Taschen schon mehr oder weniger gepackt hatten sind wir dann zu Fuß in den Ort gegangen. Im ‚The Poor Scholar‘ bestellten wir saftige Rindersteaks und Fish & Chips für die Jungs.
Als wir wieder auf unserem Boot und die Jungs schon längst im Bett waren, rief Niclas plötzlich seinen Vater. Der Junge hatte sich kräftig übergeben und sein ganzes Bettzeug voll gekotzt. Joki zog die Laken ab und warf sie draußen über die Heck-Reling. Niclas bekam unser Reservebettzeug und schlief dann die Nacht gut durch.
Als ich früh morgens wach wurde und wie üblich die Gardine zur Seite schob um einen ersten Blick nach draußen zu wagen, sah ich am Heck Qualm hoch steigen.
‚Komisch‘, dachte ich, ‚ist das vielleicht Frühnebel?‘
Aber dann erinnerte ich mich der Bettlaken, die da über dem Heck hingen und ich erinnerte mich, dass sich da auch irgendwo der Auslass unserer Dieselheizung befinden musste.
‚Das ist kein Frühnebel, da kokelt was‘, hörte ich mich laut sagen.
Sofort sprang ich aus meinem Schlafsack, ging nach draußen und sah meine Vermutung bestätigt. das Bettzeug war ziemlich angesengt. Ich nahm die Laken (leider griff ich dabei voll in die K…, na ihr wisst schon…) und warf sie auf den Kai.
Kurze Zeit später kam auch schon die schöne Estelle mit ihren strahlend weißen Zähnen zur Bootsabnahme. Sie sah natürlich sofort das angekokelte Bettzeug und auch an der Schiffswand gab es rund um den Heizungsauslass eine ziemlich braune Stelle.
Bei der Endabrechnung wurden uns dann lediglich sechs Euro für ein Bettlaken berechnet. das fand ich ziemlich fair von der schönen Estelle.
Kurze Zeit später saßen wir auch schon in unserem Shuttle-Bus der uns zum Flughafen nach Dublin bringen sollte.
* * *
„Verdammt“, fluchte ich und hielt mir die schmerzende Stelle am Kopf. Ich öffnete langsam die Augen um zu sehen, wo ich mit meinem Schädel gegen geknallt war.
Im Halbdunkel sah ich über mir ein Brett, das wohl offensichtlich zu einer Bettumrandung gehörte.
Vorsichtig stand ich auf und zog mich leise an.
Als ich das Zimmer verlassen wollte, hörte ich eine Frauenstimme vom Bett her sagen: „Rufst du mich mal an?“
Ich zuckte nur mit den Achseln und verließ wortlos das Haus. Neben dem Hauseingang sah ich in das Fenster eines Reisebüros.
Da hing im Schaufenster ein großes Plakat mit der Aufschrift
‚Céad mile fáilte!‘