Anna ist neun und findet Bootfahren doof.
Gina ist drei und noch nie geflogen, würde aber endlich mal gerne.
Britta, meine Frau, sagt, sie wolle im Urlaub auf gar keinen Fall frieren.
Matteo ist sechs und meint: ‚Mädchen können nicht angeln, die haben Schiss vor Schleim‘.
Und ich?
Ich habe für uns alle fünf Irland gebucht.
Zehn Tage Bootfahren auf einer Penichette auf dem Erne.
Zehn Tage Natur pur.
Zehn Tage Einsamkeit, fernab jeglicher Zivilisation.
Na gut, so ganz stimmt das nu wieder auch nicht.
Da gibt’s ja Belturbet, ein kleines Städtchen mit Supermarkt, Pub und Apotheke.
Zwei gemütliche Tagesreisen weiter liegt Enniskillen, und noch mal nach zwei bist du in Belleek.
Aber wenn du dort bist und einfach nur mal so ganz gemächlich geradeaus spazierst, bist du auch schnell wieder aus diesen Orten heraus.
Da brauchst du dich nicht mal zu beeilen.
Aber es gibt ja unterwegs auch noch ein paar Schlösser.
Die meisten waren jedenfalls mal Schlösser.
Jetzt sind es eher Ruinen.
Aber schöne Ruinen sind’s.
Irland – die grüne Insel, heißt es.
Ja, stimmt, die Insel ist sehr grün.
Weil es da soviel regnet.
Oft jeden Tag.
Oft nicht sehr lange, aber dafür eben oft.
Dafür kommst du in Irland aber ziemlich selten ins Schwitzen.
Weil es da immer angenehm kühl ist.
Auch im Sommer.
So 18° Grad im Juli, mehr nicht.
Tagsüber, wohl gemerkt, nicht nachts.
Nachts ist es gern noch mal ein wenig frischer.
Und frische Luft tut gut.
Viele Leute lernst du in Irland nicht kennen.
Jedenfalls nicht auf dem Boot.
Man grüßt sich freundlich wenn man aneinander vorbei fährt.
Und man grüßt sich auch freundlich, wenn man an Land aneinander vorbei geht.
Aber Freundschaften schließt du beim Bootfahren eher nicht.
Wie auch?
Du bist ja jeden Tag woanders.
‚Gibt’s in Irland auch noch andere Kinder zum spielen?‘, fragt die dreijährige Gina.
‚Ja, aber denen kannst du höchstens mal vom Boot aus zuwinken‘, sagt Anna.
* * *
Es ist Freitag, viertel vor acht.
Wir sitzen beim Frühstück.
‚In knapp drei Stunden geht unser Flieger, Kinder, endlich Urlaub, endlich geht’s nach Irland!‘, werfe ich bemüht vergnügt in die Runde.
‚Juhu‘, ruft Gina, ‚fahren wir jetzt endlich mit dem Flugzeug?‘
Anna schaut ihre Schwester mitleidvoll an und denkt ‚boah, ist die blöd‘.
Britta wirft Anna einen ermahnenden Blick zu und sagt: ‚Anna, sei jetzt lieber still!‘
Und ich?
Ich frage mich mittlerweile, ob es nicht doch besser gewesen wäre, nur eine Woche zu buchen.
Oder zwei Wochen, dann aber am Mittelmeer.
***
Das Boot haben wir ab Samstag gemietet.
Aber weil Germanwings samstags nicht von Köln aus nach Dublin fliegt, sind wir schon freitags hin.
Kinder ab zwei Jahren zahlen bei Germanwings übrigens wie Erwachsene.
Klar, Sitz ist Sitz.
Ob da nu ein kleiner Hintern drauf sitzt oder ein großer, ist denen egal.
Und weil die Ferienzeit in NRW gerade begonnen hat, war auch nix mit Flügen für 19 Euro – obwohl ich schon Anfang Februar gebucht habe.
Aber das mit den ‚Flügen für 19 Euro‘ ist eh Betrug.
Da kommen nämlich noch Gebühren drauf.
Jede Kneipe in Deutschland muss ihre Preise in der Getränkekarte ‚brutto‘ ausweisen, sprich: inklusive Mehrwertsteuer und Bedienungsgeld.
Die Begründung ist – mal ganz einfach ausgedrückt – weil der Endverbraucher zu blöd ist, im Kopf noch mal 15% für Service und dann noch mal 19% für die Allgemeinheit aus zurechnen und dann das ganze auch noch zu addieren.
Die Airlines machen es sich da einfacher.
Die schreiben halt einfach keine Prozentzahlen hin.
Dafür steht dann da auf der Abrechnung fett gedruckt:
Reisepreis
Dieser setzt sich allerdings zusammen aus
Flugpreis
(das ist der, mit dem man geködert wird, z.B. „ab 19 Euro“),
Luftsicherheitsgebühren,
PSC Abflugflughafen (what the hell is PSC?),
PSC Ankunftsflughafen
und dann noch
Surcharge (wozu eigentlich immer diese Anglizismen?).
Alles klar?
Klar.
Allerdings bist du da dann schon fast beim Doppelten.
Von wegen ‚ab 19 Euro’…
Und wisst ihr, warum das funktioniert?
Ich habe da so meine eigene Meinung:
Weil der gemeine Billigflugtourist in der Regel Flugangst hat.
Und wer Angst hat, ist eingeschüchtert.
Und wer eingeschüchtert ist, wehrt sich nicht und hält lieber die Fresse.
Da buchst du mal schnell im World Wide Nepp einen Flug für 19 Euro, zahlst dann aber bereitwillig noch 4,96 Euro Luftsicherheitsgebühr, 1,67 Euro PSC Abflugflughafen (bei PSC fällt mir irgendwie nur Anderlecht ein…), 4,38 Euro PSC Ankunftsflughafen (waren die dieses Jahr eigentlich in der Champions League?) und noch mal läppische 4,94 Euro Surcharge drauf, macht zusammen 34,95, und du bist sau happy, weil du ein echtes Schnäppchen gemacht hast.
Außerdem bist du Cosmopolit und in anderen Ländern kommt am Schluss eh immer noch die TÄX drauf, also was soll’s?
Halt also mal schön den Mund und sei froh, wenn du heile wieder unten angekommen bist.
Das ‚heile ankommen‘ hat dich dann ja nur knappe 16 Euro extra gekostet.
Aber ich zahle das gern.
Weil ich es mir wert bin.
Sorry, hat jetzt mit Germanwings was länger gedauert, aber ich finde, das musste einfach mal gesagt werden.
* * *
Unser irischer Busfahrer ab Dublin wäre gerne die auf irischen Straßen bei irischen Shuttlebusfahrern üblichen 180 Sachen gefahren, aber es war zu viel Verkehr, da ging das nicht.
Auch nicht auf der Standspur. Aber er hat’s wenigstens versucht!
Der Fuß auf dem Gaspedal hat jedenfalls immer wieder mal kräftig gezuckt.
Der Fahrer hatte irgendwann Schweiß auf der Stirn, wahrscheinlich, weil er die aufge-staute Energie nicht mittels Bleifuß entladen konnte.
In Kells war ne halbe Stunde Stau. Da hat er dann aus Verzweiflung Fingernägel gekaut.
Ganz anders auf der Rückfahrt nach zehn Tagen von Ballinamore aus.
Da war kein Stau.
Mann, war das ein Spaß!
Das war wie Achterbahnfahren, die bremsen vor engen Kurven auch nie vorher
ab.
Und beim Achterbahnfahren laufen dir ja auch nicht plötzlich irgendwelche Kühe
vor die Karre, warum sollen das also ausgerechnet die machen, die da jetzt gerade am Straßenrand auf der Weide stehen.
Kein Zaun?
No Problem.
Würde es fürs Shuttlebusfahren auch eine Surcharge geben, ich würde sie stillschweigend freiwillig bezahlen – egal wie hoch – die Fresse halten, und dafür sicher unten ankommen.
Unten?
Wieso denn unten?
Und da ich jetzt schon von der Rückfahrt erzählt habe, wird dir, liebe Leserin und dir, lieber Leser, klar, dass wir auf der Hinfahrt auch ohne Surcharge heile am Urlaubsziel angekommen sind.
Also, – geht doch, – weiter im Text:
In Belturbet haben wir bei ESL eine Gruppe von 5 Schwaben raus gelassen, die mit uns geshuttelt worden sind.
Da lagen noch eine ganze Reihe Boote herrenlos an den Anlegern.
War Emerald Star Line etwa nicht ausgebucht?
In der vermeintlichen Hochsaison?
Das Markenzeichen von ESL sind ein hell-grüner und ein dunkel-grüner Farbstreifen, die sich oben um den Bootsrumpf ziehen.
Auf einigen Booten konnten wir Reinigungspersonal entdecken. Die waren dann auch in hell-grün und in dunkel-grün gekleidet und hatten auch gleich gefärbte Mützchen auf.
Auf jeden Fall wurden bei ESL aber schon Freitag Nachmittag die Boote geputzt.
Nicht so bei Locaboat in Ballinamore.
Da lag unsere Penichette Terrasse 1120R ‚Cor na Coille‘ einsam und verlassen am Jetty, aber eben ungeputzt.
Rejane, die französische Locaboat-Chefin in der irischen Base, hatte mir aber schon vorab per Email versprochen, dass die Cor na Coille direkt am Samstag morgen als erste geputzt und gecheckt werden sollte, damit wir möglichst früh aufs Boot könnten.
Wir gingen dann erstmal im The Poor Scholar Steaks essen.
Für die Kinder gab’s dazu Limo, für Mama ein sparkling water (‚oh, you like it with gas!‘) und für Papa gab’s ein – na was wohl? – richtig, ein Budweiser.
Wer meinen ‚Herrentour 2005‘-Bericht gelesen hat, weiß, dass ich Guinness verabscheue, genauso wie Düsseldorfer Alt-Bier.
Als ich dann nach dem zweiten Pint Budweiser schon leicht einen im Tee hatte, wollte ich mir einen kleinen Spaß mit meiner Jüngsten erlauben und fragte sie, ob sie mir an der Theke noch ein Bierchen bestellen könnte, auf englisch versteht sich.
‚Gib der Frau einfach das leere Glas und sag ‚one more, please“.
Gina nickte, nahm das Glas vorsichtig in beide Hände und stapfte geradewegs hinter die Theke.
Leider war dieser Bereich von unserem Tisch aus nicht einzusehen.
Dafür konnten wir Gina aber laut und deutlich hören: ‚Bring dem Papi noch ein Bier,‘ brüllte sie die Thekenkraft herrisch an.
Das sorgte für allgemeines Gelächter, auch bei den Iren.
Und ein paar Augenblicke später hatte ich tatsächlich ein frisch gezapftes Bud vor mir stehen.
Gina ist eben klasse…
Die Nacht verbrachten wir in Hamill’s Guesthouse, welches übrigens sehr zu empfehlen ist. Nicht gerade billig mit 120 Euro für zwei Doppelzimmer, aber dieselben sind liebevoll ausgestattet, und die Hamills sind super nett und machen auch ein klasse Frühstück (‚would you like a full irish breakfast?‘).
Und das Haus der Hamills liegt zurück versetzt an der Hauptstraße, ist nachts daher sehr ruhig.
Direkt an der Ecke zur Hauptstraße gibt’s einen Angelladen, so heißt es jedenfalls. Bist du erst mal drin, entpuppt sich der Schuppen als ‚alles-mögliche-Trödelladen‘, allerdings einer, wo vermutlich gerade eine Bombe
eingeschlagen hat.
Es ist einfach unglaublich.
Du musstabsolut aufpassen, wo du deine Füße hinsetzt. Scheinbar irgendwann einmalwahllos in die Regale eingeräumt, liegen viele Artikel wie Ruten, Kescher,Köderboxen, aber auch elektrische Handventilatoren, Barbie-Puppen-Accessoires,Camping-Gaskocher oder Tesafilm-Abroller mittlerweile wild verstreut auf dem Boden herum.
Dafür sind die Maden aber erste Wahl (‚maggots? you like them mixed, red and white?‘) !
Die gibt’s aber nicht direkt im Laden, sondern werden extra aus einem kleinen Anbau hinterm Haus geholt.
Ehrlich gesagt, möchte ich lieber nicht wissen, wie es da drinnen aussieht. Alleine bei dem Gedanken fängt es schon an, mich zu jucken.
Vielleicht tue ich dem Laden bzw. den Betreibern aber jetzt auch unrecht.
Als wir dann nach unserem full irish breakfast mit voller Madendose gegen 10:30 Uhr bei Locaboat aufkreuzten, war unsere Penichette noch nicht fertig.
Hatten wir auch gar nicht mit gerechnet. Aber es war auch keinerlei Aktivität an Bord zu sehen. Keine Putzfrau und auch kein Techniker auf unserem Schiff.
Die waren alle auf anderen Kähnen beschäftigt.
Als uns die Techniker bemerkten, haben die dann schnell weggeguckt.
Uns gegrüßt, zugelächelt oder zumindest nur mal kurz mit dem Kopf genickt, hat keiner von denen.
Die haben wohl gedacht, au Scheiße, Kunden, die stellen bestimmt gleich saudumme Fragen, guck also lieber gar nicht erst hin.
Ich habe dann erstmal für die Kids zwei Stippruten fertig gemacht, mit Zehnerhaken und mixed maggots dran.
Es dauerte nicht lange, da hatte Gina schon den ersten Barsch gefangen. Da gab’s natürlich ein lautes ‚Juhu‘ von uns und Gina meinte dann mit verklärtem Blick: ‚boah, bin ich stolz‘.
Da haben sich Papa und Mama erst mal weg gelacht.
Um kurz nach Elf bin ich dann mal zum Locaboat-Büro gegangen.
Die schöne Estelle mit den strahlend weißen Zähnen stand vor der Tür in der Raucherecke, quarzte eine Marlboro und lächelte mich freundlich an.
Drinnen in der Kommandozentrale saß die Chefin, Rejane, am Schreibtisch und hackte was in den PC.
Als sie mich sah, sagte sie freundlich ‚hello‘.
Ich fragte sie dann, ob unser Boot vielleicht schon fertig sei, weil da gar nichts drauf passierte.
Rejane meinte daraufhin, sie wäre eben auf dem Boot gewesen (häh, wieso habe ich sie da nicht gesehen?). Das Boot wäre eigentlich zwar sauber, die eine Dusche aber nicht. Jedenfalls nicht nach ihrem Sauberkeitsempfinden. Sie hätte das schon bei der Putzfrau reklamiert. Wie, da ist keine Putzfrau auf dem Boot? Ich sag ihr jetzt gleich noch mal
Bescheid…
Das tat sie dann auch und kurze Zeit später verschwand eine gute Seele mit Putzeimer und Aufnehmer auf unserer Cor na Coille.
Um viertel vor zwölf war dann Mittag für die Putzleute.
Man traf sich mit vollen Tupper-Dosen auf dem Mäuerchen vor den Bootsstegen und mampfte leckere Sandwiches.
Nach einer viertel Stunde wurde dann weiter gearbeitet.
Aber nicht auf unserem Schiff.
Da kamen Rejane und die schöne Estelle mit den strahlend weißen Zähnen mit Checklisten bewaffnet aus dem Büro zum nächsten Bootscheckrundgang.
Ich fragte die beiden, ob es nicht möglich sei, wenigstens schon mal die schriftlichen Formalitäten zu erledigen.
‚Oh, we can do the paper works at two o’clock,‘ meinte Rejane.
‚Why not now?,‘ versuchte ich erneut mein Glück.
‚Because now we have to do our other work‘.
Nee, ist klar.
Und bis zwei Uhr waren es ja auch nur noch knapp zwei Stunden.
Um nicht weiter lästig zu sein, beschlossen Britta und ich dann noch mal in den Supermarkt zu gehen. Ich hatte zwar per Fax schon Lebensmittel vorab bestellt, aber dabei dummerweise die Position ‚Beer‘ übersehen.
Und ohne dieses Grundnahrungsmittel wollte ich nicht losfahren.
Zum Supermarkt hin sind es gerade mal fünf Minuten. Plötzlich hielt ein dunkler Kleinwagen neben uns an. Aus dem herunter gekurbelten Fenster winkte die schöne Estelle mit den strahlend weißen Zähnen und rief uns erfreut zu ‚your boat is now ready‘.
Klasse, dachten wir, kauften noch schnell ein Sixpack Budweiser und gingen zurück zur Marina.
Da war aber jetzt keiner mehr. Rejane und die schöne Estelle mit den strahlend weißen Zähnen und die Herren Techniker machten wohl gerade ihre wohl verdiente Mittagspause. Wahrscheinlich dauerte diese bis zwei Uhr, und dann ‚ready for the paper works‘. Aber da hatte ich mich dann doch ein klein wenig getäuscht, die Mittagspause war schon ein paar Minütchen vor zwei Uhr zu Ende. Rejane und ihre Assistentin kamen in ihren Kleinwagen angerauscht und ich bin dann direkt ins Büro geeilt.
Rejane hackte dann alle Angaben, die eigentlich bereits seit meiner Bestellung und der Bestätigung seitens Locaboat Deutschland bekannt waren, in den irischen PC. Nach ein paar Minuten klickte sie auf ‚print‘, – da stürzte der Computer ab.
Da musste erstmal neu gebootet werden.
Dann wurde alles noch einmal von A-Z in den Blechidioten eingegeben…
Wieder auf ‚print‘.
Wieder abgestürzt.
Wieder neu gebootet.
Das Ganze dann noch ein drittes mal, wieder mit ‚print‘ und Absturz, aber diesmal
ohne booten.
Mittlerweile genervt, suchte sich Rejane jetzt die guten alten Schreibmaschinenvordrucke aus ihrem Rollcontainer zusammen.
Da ging dann eigentlich alles ganz fix. Es ließ sich aber kein Pauspapier finden, deshalb musste alles zwei mal per Hand geschrieben werden.
Macht nix, bitte jetzt nicht hetzen.
Wir sind ja schließlich in Urlaub.
Später stellte sich heraus, dass der Fehler im Computer daran lag, dass ich schon mal im März diesen Jahres bei Locaboat in Irland gechartert hatte. Und damals wurde ich bei meiner Abreise ordnungsgemäß im elektronischen Buchungsprogramm ausgecheckt.
Und wer weg ist, kann nicht da sein.
Deshalb stürzte der Computer immer wieder ab.
Dummes Ding.
Kann natürlich auch sein, dass Locaboat gar nicht damit rechnet, dass ein Kunde zwei mal im gleichen Jahr bei denen bucht. Das würde dann auch erklären, warum die Herren Techniker nicht gegrüßt haben. Die denken vielleicht: ‚lohnt sich nicht, die Eierköppe sehe ich eh nie wieder…‘
Die Einweisung auf dem Boot dauerte dann nur wenige Minuten, da ich ja alles noch bestens vom März her kannte. Also wurde alles auf der Checkliste schnell abgehakt.
Dann war aber das Dinghy nicht da, das ich bestellt hatte.
Da meinte der Techniker, wir würden jetzt erstmal eine Probefahrt zur ersten Schleuse machen, damit er auch sicher sein könne, dass wir das Schleusenbedienpult richtig bedienen könnten.
Klar, das ist ja auch gar nicht so einfach.
In der Zwischenzeit würde dann das Dinghy geholt.
Das Schleusenbedienpult gehorchte mir dann auf Anhieb und als wir zurück zur Locaboat Marina kamen, stand auch tatsächlich unser bestelltes Vier-Meter-fünfzig-Dinghy-mit-Außenborder da.
Hatten wir ein Glück!
Schnell banden wir das Dinghy an der Heckreeling fest, und dann ging’s auch schon los.
Um 15:10 Uhr Greenwich Time bogen wir flussabwärts in den Shannon-Erne-Waterway ein.
Ready for paradise.
Wie viele Seiten hab ich jetzt eigentlich gebraucht, um bis hier hin zu kommen?
***
Den Kanal hatte ich noch gut von meiner Märztour in Erinnerung.
Damals waren die Bäume kahl, jetzt kamen sie mir vor wie ein dichter Urwald. Ich freute mich riesig, wieder in diesem wunderschönen Land zu sein.
Jetzt musste ich nur noch den Rest der Familie davon überzeugen, dass dieses Land schön und einen Urlaub wert war.
Für die Kinder hatte ich mir da schon was überlegt.
Kaum hatten wir den Lough Garradice erreicht, hielt ich Kurs auf Swan Island. Dort erreichten wir die Animal Farm gegen viertel nach fünf und legten rückwärts am Jetty an.
‚Kinder,‘ sagte ich, ‚heute Nacht bleiben wir hier. Habt ich nicht Lust oben bei dem Haus mal zu gucken, ob man da was zu trinken bekommt?‘
‚Dürfen wir Cola?‘ fragte Anna.
‚Na gut, zur Feier des Tages dürft ihr auch ein Coca Cölchen trinken. Geht schon mal vor, Mama und ich machen nur das Boot noch richtig zu, dann kommen wir nach.‘
Und da trotteten die drei auch schon los und ich hoffte, dass mein Plan aufgehen würde.
Und er ging auf, wie sich wenig später heraus stellen sollte.
Neben Eseln, Schweinen, Ponys und sogar zwei Lamas gab es hier nämlich noch ein Rudel Bobtail Welpen und auch noch einen Wurf junger Katzen.
Die Kinder strahlten vor Glück. Die Hunde waren sehr zutraulich und sprangen sofort um Anna, Gina und Matteo herum.
Na also, dachte ich, das hat ja schon mal wunderbar geklappt. Ich schaute zu meinem holden Weib und sah, dass auch Britta von der Farm begeistert war.
‚Hier kann man auch klasse essen,‘ sagte ich.
‚Lädst du uns denn zum Dinner ein?‘
Klar, war mir eine Ehre.
Wenn jetzt noch das Essen schmecken würde, wär’s ein perfekter erster Ferientag.
Und soll ich euch was sagen?
Es schmeckte an diesem Abend allen vorzüglich.
Wobei für die Kinder das Essen eigentlich zweitrangig war. Die meiste Zeit waren die mit den Katzen und Hunden irgendwo draußen zugange.
Als wir so gegen zehn dann irgendwann zurück zum Boot gingen, gab’s zum Nachtisch noch ein prächtiges Lichterspiel am Himmel. Schnell holte ich meine Digital Ixus heraus und schoss ein paar Bilder.
Danach brachten wir die Kinder in ihre Kojen. Nach dem Zähneputzen (‚Papa, kannst du nachputzen?‘) und Hände waschen schliefen die drei auch ziemlich schnell ein. Sie lächelten im Schlaf und ich war mir sicher, sie waren glücklich.
Britta und ich saßen dann noch eine Weile auf der Terrasse unserer Penichette, tranken Cabernet Sauvignon und genossen den Abendhimmel.
Ich sag’s euch, das Leben ist schön!
***
„Komm raus, du Hurensohn, du bist umzingelt. Ergib dich!“
Erschrocken löste ich mich aus der Umarmung mit Lady Bridget, drehte mich in die Richtung aus der ich die Stimme vernommen hatte und blickte aus dem kleinen Rundbogenfenster des Crichton Towers in östliche Richtung.
Ich sah mehrere Ruderkähne, die vielleicht 20 oder 30 yards entfernt vom Ufer lagen.
Dunkle Gestalten hielten brennende Pechfackeln in der Hand und erleuchteten den Abendhimmel. Die Fackelträger trugen Kutten mit Kapuzen unter denen sie ihre Gesichter versteckten. Aber dass es sich hier nicht um harmlose Mönche handelte, erkannte ich sofort an den schweren Schwertgriffen, die seitlich aus den Kutten ragten.
Und auch ohne dass man die Gesichter erkennen konnte, wusste ich sofort, wessen Männer da unten das bizarre Feuerspiel auf dem braunen Wasser des Upper Lough Erne veranstalteten.
Lady Bridget war ebenfalls zum Fenster gekommen und hatte ihre schlanken Arme von hinten um meine Hüften gelegt. Ich spürte ihren zarten Atem, als sie ihre Lippen an mein rechtes Ohr drückte.
„Ist Er das?“ hörte ich leise die Stimme der schönsten Frau, die ich jemals zu Gesicht bekommen hatte, hinter mir sagen.
„Ja“, sagte ich, „und diesmal will er uns töten“.
„Rettet euch. Ihr alleine könnt es schaffen!“
„Nein, Bridget, niemals gehe ich ohne euch.“
„Dann lasst uns kämpfen, so, wie wir es immer getan haben und wie es unserer Liebe gebührt“.
„Kommt jetzt heraus. Alle beide!“, hörte ich erneut die Stimme von Thomas Cromwell, meinem Erzfeind. „Ergebt euch und ich werde euer schäbiges Leben schonen“.
Im gleichen Augenblick schoss ein Pfeil an unseren Köpfen vorbei und bohrte sich hinter uns in die massive Holztür, die auf die Zinnen des Towers führte.
„Ist das etwa die Art, wie Ihr unser Leben schonen wollt?“ rief ich nach draußen und schob Lady Bridget zur Seite, damit sie nicht von einem möglichen zweiten Pfeil doch noch getroffen würde.
„Ja, lasst uns kämpfen,“ sagte ich dann leise zu meiner Angebeteten, „ich habe auch schon einen Plan, wie wir uns retten können.“
* * *
In dieser Nacht konnte ich einfach nicht einschlafen. Die Eindrücke des ersten Tages gingen mir ständig im Kopf umher.
Einerseits war ich total glücklich, dass die gesamte Familie so einen tollen Einstieg hier in Irland hatte. Andererseits, jetzt brauchte nur mal ein, zwei Tage schlechtes Wetter kommen und die Stimmung würde vielleicht kippen.
Aber soll ich euch was sagen, … es kam kein schlechtes Wetter. Ganz im Gegenteil: am nächsten Morgen stand ich schon ziemlich früh auf, schob die Gardine an meiner Koje bei Seite und blickte in einen strahlend blauen Himmel.
Es war einfach fantastisch.
Keine einzige Wolke und dazu noch ein spiegelglatter See.
Trotz zwei Flaschen Cabernet Sauvignon am Abend und nur wenigen Stunden Schlaf war ich urplötzlich hell wach und absolut klar in der Rübe. Schnell stand ich auf, sprang in meine Jeans, riss die beiden Schiebetüren des Salons auf und ging nach draußen.
Wie Tarzan im Film trommelte ich mit beiden Fäusten auf meine Brust. Aus Rücksicht auf die Nachbarn in einer Barge unterließ ich aber den typischen Dschungelschrei.
Ich nahm meine Angelroute und blinkerte in alle möglichen Himmelsrichtungen. Gefangen, habe ich natürlich nichts. Das wäre dann aber des Guten auch einfach zuviel gewesen. Ich packte die Rute also wieder weg und beschloss, für die Familie ein leckeres Frühstück zu bereiten.
Wäre es nach den Kindern gegangen, wir wären die restliche Zeit unseres Urlaubes hier auf der Animal Farm geblieben. Die Kids hatten sich dermaßen in die jungen Katzen und vor allem in die Bobtail Welpen verliebt, dass sie gar nicht mehr weg wollten.
Beim Frühstück hatten wir dann eine schier endlose Diskussion, ob wir nicht einen der Welpen oder vielleicht auch zwei oder warum nicht gleich alle mit nach Hause nach Deutschland nehmen könnten.
Mit Engelsgeduld erklärten Britta und ich den Kindern, dass das nicht so einfach ginge. Zum einen gehörten uns die Hunde gar nicht, zum anderen wären die auch noch so klein, dass die noch eine Weile bei ihrer Mama bleiben müssten.
Dass das ein ziemlich blödes Argument war, zeigte uns dann unsere Jüngste auf. Gina meinte, wir würden doch bestimmt auf der Rückfahrt noch einmal hier vorbei kommen, und dann wären die Hündchen doch schon viiiiiel älter und grööößer. Wir könnten sie ja dann mitnehmen.
Matteo meinte dann auch noch ziemlich trocken, dass unsere dreibeinige Hündin Kira, die wir während unseres Urlaubes zu Hause in Deutschland bei Oma und Opa gelassen haben, doch schon ziemlich alt wäre und bestimmt bald, irgendwann oder auch später, eventuell, ähm, vielleicht, ähm… mal sterben würde, und wir dann doch einen neuen
Hund bräuchten, der das Haus bewacht, und, und, und, …
Tränen kullerten an den sechs Kinderwangen hinab, als wir gegen Mittag von Swan Island ablegten und am Haughtons Shore vorbei den Woodford River weiter in östliche Richtung fuhren.
Die Kinder waren stinkesauer, die Stimmung war am Tiefpunkt. Mit uns Eltern wollten die lieben Kleinen jedenfalls erstmal nichts mehr zu tun haben und verschwanden unter Deck.
Keine Ahnung, was sie da gemacht haben, aber dafür war jetzt Ruhe an Deck. Britta nutzte die Gunst der Stunde und ging mit einem Buch bewaffnet zum Bug, las und sonnte sich.
In Ballyconnell legten wir dann am Jetty an, die Kinder waren immer noch unter Deck.
‚Wer hat Lust eine Runde Dinghy zu fahren?‘, rief ich laut nach unten. Es dauerte nicht mal eine Sekunde, da riefen alle drei gleichzeitig ‚iiiiiiich‘, rissen die Tür von der Kajüte auf und stürmten nach oben.
Wir sind dann bis zur Schleuse und zurück gefahren.
Na, ehrlich gesagt, sind wir insgesamt drei mal zur Schleuse hin und zurück gefahren, schließlich wollte jeder der kleinen Süßen mal am Ruder sitzen.
Danach war der von Locaboat ohnehin schon ziemlich knapp bemessene Sprit alle. Also haben wir wieder an unserer Penichette angelegt, sind die Brücke rüber zum Supermarkt zu Fuß gegangen, haben ein paar Lebensmittel gekauft und gleich nebenan an der Tankstelle noch Bölkstoff fürs Dinghy.
Außerdem hat jeder von uns noch ein Eis (‚Papa, dürfen wir ein Hörnchen‘) auf die Hand bekommen. Spätestens jetzt waren die Hündchen und Kätzchen vorerst vergessen.
Wir sind dann in Ballyconnell durch die Schleuse gefahren und haben bis Aghalane kein anderes Boot mehr gesehen.
Überhaupt, dem SEW merkte man überhaupt nicht an, dass Ferienzeit, also vermeintliche Hochsaison war.
Die Boote die uns bis zum Upper Lough Erne begegneten konnte man noch an den eigenen fünf Fingern abzählen.
Ich machte mir daher Hoffnung, dass das so bliebe und nahm mir vor bis Crom Castle zu fahren, um da für die Nacht anzulegen.
Als wir den Woodford River verließen und Kurs auf Crom nahmen, sahen wir schon ziemlich bald in der Fahrrinne einen Turm stehen. ‚Das ist der Crichton Tower‘, erklärte ich meiner Frau, ‚das war früher mal sowas, wie ein Liebesnest‘.
‚Eins, wo man als Mann bezahlen musste?‘, fragte Britta.
‚Keine Ahnung, … als ich Ostern mit Joki da war, war jedenfalls alles umsonst‘, antwortete ich und duckte mich dann schnell, da aus Britta’s Richtung gerade ein nasser Spüllappen angeflogen kam.
Der Jetty in Crom war total überfüllt, Kinder badeten am Slip Way und auf dem Anleger wurde an zwei Stellen lecker gegrillt.
Das musste nicht sein und da es noch ziemlich früh am Abend war, drehten wir um und nahmen Kurs auf die Trial Bay.
Dort gab es noch Platz für uns und wir legten in einer Lücke zwischen zwei Booten innen am Jetty an. Erst als wir das Boot sicher vertäut hatten, wurden wir gewahr, dass zu dem Boot hinter uns noch ein lustiges Jetski-Monster gehörte.
Und scheinbar sah es dessen Besitzer nun als seine erste Pflicht an, uns seinen ganzen Stolz erst mal eindringlichst zu präsentieren. Völlig cool setzte er sich auf sein Höllengefährt, rückte das grüne Ray Ban Imitat auf der Nase zurecht, drückte mit dem rechten Daumen auf die elektronische Zündung, gab sofort Vollgas und schoss dann mit einem Kavalierstart auf den See hinaus.
Wie gerne hätte ich da ein Lasso gehabt und wie John Wayne in besten Zeiten den Schurken von seinem Gaul geholt.
Aber ich hatte kein Lasso.
Und der Jetskifahrer ist ja auch nur noch so knappe zwei Stunden hin und her gedüst. Danach hat er das Jetski an seinem Boot festgemacht, hat sich den Neoprenanzug ausgezogen und ist dann mit seinem kleinen Schleppverband Richtung Crom abgefahren.
Da war’s dann kurz nach sechs, Zeit fürs Abendessen.
Matteo hatte drei Barsche gefangen und die Kinder wollten sie unbedingt essen. Tierliebe kennen die nur, wenn es um Hunde oder Katzen geht.
Bei Fischen – keine Spur.
Ganz im Gegenteil.
Als ich schweren Herzens den Barschen waidmännisch korrekt den Garaus machte, standen die lieben Kleinen um mich herum. Gina hat sich köstlich amüsiert, als ich dem ersten Barsch mit dem Fischtöter einen Schlag auf den Kopf gab (‚hihihi, du kleines Fischlein, jetzt bist du tot‘), und als ich ihm den Kopf abschnitt und die Eingeweide hervor quollen, kicherte sie ‚hähähä, jetzt läuft noch alles raus‘.
War das jetzt meine kleine dreijährige Tochter Gina oder nicht doch eher ein kleines Monster, welches da in unserer Mitte groß gezogen wurde?
Die Barsche – leicht gesalzen und in Olivenöl gebraten – schmeckten den Kindern jedoch hervorragend. In trauter Einigkeit meinten alle drei, sie wollten jetzt jeden Tag Barsch essen.
‚Aber nur noch von Captain Iglu, ich kille vorerst jedenfalls keinen mehr‘, sagte ich bestimmt.
‚Fischstäbchen, juhu, ist das etwa auch Barsch?‘ fragte Gina.
Beim Abwasch lief irgendwie das Spülwasser nicht ab. Und wenig später meinte Anna, die gerade vom Klo kam, die Dusche stünde unter Wasser. Ich kontrollierte beide Duschen und stellte fest, dass Anna recht hatte. Es fehlte nicht viel und das Wasser würde in die Kajüten überschwappen.
Ich rief die Servicenummer von Locaboat an und es meldete sich auch gleich ein Techniker. Der hatte aber keine Zeit oder Lust uns noch am selben Abend zu helfen. Jedenfalls meinte er, er hätte jetzt schon seit einer halben Stunde Feierabend, aber am nächsten Morgen könnten wir uns ja um halb zehn in Enniskillen treffen.
‚Enniskillen?, das sind ja gute zwei Stunden Fahrt, da müssten wir ja schon um sieben Uhr in der Früh losfahren‘, meinte ich zu ihm.
‚Ok, then we can meet in Carrybridge‘, schlug er vor.
Klasse, eine halbe Stunde gespart, war mir aber immer noch zu mühsam.
‚What about Trial Bay?‘, fragte ich vorsichtig.
‚Trial Bay? If you want me to come to Trial Bay, I can do this.‘
Na also, geht doch.
Er kam dann auch pünktlich um halb zehn am nächsten Morgen und ging ohne zu grüßen gleich ans Werk.
Fett vom Spülwasser hatte die Schwimmer in der Abwasserpumpe angesammelt und festgesetzt. Ein bisschen Spüli und die Schwimmer waren wieder frei, die Pumpe sprang an, das Wasser in den Duschen und in der Spüle lief ab.
Schnell noch die Hände gewaschen und schon war er wieder weg, der Herr Techniker.
…
Aufwiedersehensagen?
Wassollnderquatsch?
Dafür gab’s auch kein Trinkgeld, ätsch.
Wir sind dann nach Crom gefahren. Da hab ich mir im Tourist Office erst mal ein Fishing Permit & License für Nord-Irland für 16 englische Pfund erstanden.
Danach haben wir das Crom Estate zu Fuß erkundet und haben die riesigen Bäume bestaunt. Irgendwo soll da auch einer stehen, der an die 400 Jahre alt ist. Ich habe aber keine Ahnung, ob wir den auch gesehen haben. An den Bäumen stand jedenfalls nix dran.
Im Anschluss an den Spaziergang habe ich dann noch vom Dinghy aus ein Stündchen sinnlos geblinkert und natürlich nix gefangen. So ein offizielles Fishing Permit ist halt noch lange keine Garantie, dass du auch wirklich was fängst.
Später sind wir dann in nördliche Richtung weiter gefahren und wollten in Knockninny duschen. Aber irgendwie habe ich die Marker nicht richtig gepeilt.
Den 32F habe ich ja noch gefunden, aber dann den 31B glatt übersehen. Den 31A habe ich dann plötzlich auf Steuerbord erblickt, da lag der Knockninny Jetty aber schon auf meiner linken. Da bin ich wohl im seichten Fahrwasser um die kleinen vorgelagerten Inseln gefahren. Dem lieben Herrn Steinacher, auch als RJS bekannt, wäre das mit Sicherheit nicht passiert, dem alten Marker-Fetischisten.
Sorry, RJS, das ‚alten‘ nehme ich mit Entschuldigung zurück.
Uns ist aber zum Glück auch so nix passiert.
Die ganze Familie hat dann erstmal ausgiebig geduscht. Da war es dann irgendwie schon früher Nachmittag.
Da in unserem Kühlschrank schon einige Lücken klafften (wenn ich mal ganz ehrlich sein soll: es war kein Budweiser mehr da), beschlossen wir, noch bis Enniskillen zu fahren. Wir sind dann über Carrybridge die östliche Route gefahren.
Bei 38AI hat mich mein liebes Weib am Steuer abgelöst. ‚Fahr einfach immer gerade aus‘, sagte ich zu ihr.
Das hat aber nicht ganz geklappt.
Beim 39B Marker ist sie jedenfalls rechts abgebogen, ist mir aber zunächst nicht weiter aufgefallen.
Erst als wir kurz davor waren, mit Vollgas auf eine Sandbank aufzufahren, dachte ich, hier stimmt was nicht, lief zum Steuer und leitete eine 180° Wende ein. Ein Blick auf die Karte und danach noch ein paar Blicke durchs Fernglas genügten um festzustellen, dass wir gerade einer mittelschweren Havarie entgangen waren.
Bis wir wieder am 39B Marker angelangt waren, sind gut acht Minuten vergangen. Daran kann der Kenner ermessen, wie weit wir schon in die für Cruiser gesperrte Bucht vorgedrungen waren. Da hatten wir anscheinend noch mal ziemliches
Schwein gehabt.
***
Britta war vom Supermarkt in Enniskillen total begeistert.
Das hatte ich befürchtet.
Ist aber gut gegangen.
Außer für Lebensmittel musste ich sonst nicht die Geldbörse zücken.
‚Auf der Rückfahrt kommen wir doch bestimmt noch mal hier vorbei‘, sagte Britta.
‚Ja, … leider‘, erwiderte ich leise.
Die Nacht verbrachten wir an einem der schönsten Anleger, die ich kenne: Devenish Island.
Auch der Rest der Familie war von der schönen Insel sehr angetan. Noch vor dem Abendessen haben wir die keltischen Denkmäler eingehend besichtigt.
***
Der Soldat sah die Keule erst im aller letzten Moment auf ihn zu fliegen, aber da war es schon zu spät. Mit einem lauten Scheppern traf ihn das schwere Eichenholz mitten auf seine Helm bewehrte Stirn. Als hätte man ihm die Beine
unter dem Körper weg gerissen, stürzte der Mann mit einem Ruck nach hinten den Felsen hinunter und blieb im seichten Wasser des Ernes reglos neben seinem Ruderboot liegen.
Vor lauter Schreck warf sein Kollege die brennende Fackel ins Wasser, welche sogleich zischend erlosch. So konnte er nicht sehen, wie ich mich mit den Füßen voran auf ihn stürzte. Krachend traf ihn der Absatz meines rechten Stiefels seitlich am Kinn, so dass sein Kopf herum wirbelte und seinen bulligen Körper mitriss.
Wie ein gefällter Baum stürzte er in das Boot und ich landete weich auf seinem feisten Bauch. Sofort ließ ich mich aus dem Boot gleiten und zog den Kahn ins tiefere Wasser.
‚Was ist da los?‘, hörte ich Cromwell rufen.
Wie gerne hätte ich ihm in diesem Moment als Antwort meine rechte Faust auf seine Nase gedonnert. Vorsichtig blickte ich über den Rand des Bootes und sah, wie Cromwell seine Fackel in die Höhe gerissen hatte, um das Wasser um ihn herum besser auszuleuchten.
Sein Boot war vielleicht gerade mal zehn oder zwölf Yards von mir entfernt. Zu weit, um ihn zu überraschen. Aber nah genug, um selbst jeden Moment entdeckt zu werden. Lady Bridget war inzwischen neben mir ins Wasser geglitten. Wir waren beide ganz in schwarz gekleidet und hatten uns die Gesichter mit Asche aus dem Kamin geschwärzt.
‚Schaut nicht zu ihm hinüber‘, flüsterte ich ihr leise ins Ohr, ’sonst verraten uns nachher noch Eure funkelnden Augen.‘
‚Haltet den Mund und spart lieber Euren Atem‘, erwiderte sie.
‚Seid Ihr bereit?‘, fragte ich sie.
‚Ja, ich bin bereit‘.
‚Gut‘, sagte ich, ‚dann lasst uns direkt unter ihm hindurch tauchen‘.
‚Küsst mich erst noch ein letztes Mal. Falls wir entdeckt werden, wird er nicht zögern uns zu töten, dann werde ich Eure Lippen nie wieder spüren können‘.
Ich wollte gerade erwidern, dass wir dazu keine Zeit mehr hätten, da drückte sie mir auch schon ihre vollen Lippen auf den Mund.
Eine kleine Ewigkeit später ließen wir endlich von einander ab, nahmen tief Luft und tauchten in die dunkle Tiefe des Ernes hinab.
Die Fackel meines Erzfeindes, Thomas Cromwell, wies uns den Weg und wir tauchten geradewegs unter seinem Kahn hindurch.
Lady Bridget ist eine hervorragende Schwimmerin und eine ebenso gute Taucherin. Erst gut zwanzig oder vielleicht sogar fünfundzwanzig yards hinter Cromwells Boot tauchten wir zum ersten Mal auf, atmeten ein paar mal ruhig tief durch und tauchten dann wieder gemeinsam unter.
Am Ufer der nordwestlichen Spitze von Inishfendra tauchten wir dann endlich auf. Ich blickte mich sogleich um und sah, dass uns offensichtlich noch niemand gefolgt war.
Ich konnte erkennen, dass Cromwell und seine Männer ihre Kähne verlassen und den Crichton Tower bestiegen hatten.
‚Kommt weiter‘, sagte ich zu Lady Bridget, nahm sie an der Hand und zog sie hinter mir her in den dunklen Wald der Insel. Ich kannte mich hierm bestens aus. Schon als kleiner Junge war ich alleine oder mit meinen Freunden von Crom Castle aus hierher nach Inishfendra geschwommen.
Ich kannte hier jeden Baum, jeden Felsen und jeden Unterschlupf.
Gleiches galt aber für Thomas Cromwell auch.
Als Kinder waren wir so gut wie unzertrennlich. Thomas war zwei Jahre
älter, immer ein gutes Stück größer und vor allem aber auch immer kräftiger als ich.
Für mich war er wie ein Bruder.
Wie ein großer Bruder.
Bei ihm fühlte ich mich immer sicher.
Thomas brachte mir das Schwimmen bei, er zeigte mir, wie man Lachse angelte und wie man aus dicken Ästen ein Floß bauen konnte.
Inishfendra war „unsere“ Insel. Hier waren wir glücklich, und ich kann mich noch gut an den heißen August-Nachmittag im Jahr 1499 erinnern als wir uns in unserem selbst gebauten Baumhaus mit einer Scherbe die Unterarme aufritzten und Blutsbrüderschaft schlossen.
Thomas war damals 17 und ich 15 Jahre alt.
Nichts hätte zu der Zeit unsere Freundschaft erschüttern können.
Aber dann kam ein paar Jahre später doch alles anders.
Als Thomas gerade neunzehn Jahre alt war, starb sein Vater.
Im Schloss wurde offiziell verlautbart, der Earl sei als Edelmann im Kampf gegen Rebellen gefallen.
Böse Zungen aber behaupteten hinter vorgehaltener Hand, der Graf sei des Nachts – als er von einem Schäferstündchen im Crichton Tower zurück kehrte – betrunken aus seinem Kahn gefallen und in den dunklen Fluten des Ernes jämmerlich ertrunken.
Kurz nach der Beerdigung wurde jedenfalls mein Blutsbruder Thomas Cromwell zum neuen Earl of Essex erkoren.
Wäre es einzig nach Thomas und mir gegangen, unser Leben hätte sich nicht verändert. Aber Thomas Familie bestand darauf, dass Thomas nun seinem Namen Ehre machte und mehr und mehr die Regierungsgeschäfte übernahm.
Thomas war gerade 22 Jahre alt geworden, als ihm sein Onkel eines Tages mitteilte, die Familie hätte beschlossen, dass Thomas nun heiraten solle. Man habe bereits eine Frau für ihn ausgesucht und er würde sie bald kennen lernen. Die Hochzeit würde dann kurz darauf stattfinden.
Als Thomas von den Plänen seiner Familie erfuhr, war er hiervon zunächst überhaupt nicht begeistert. Er sollte eine wildfremde Frau heiraten. Wahrscheinlich war sie fett und hässlich, mit runzliger Haut und schlechtem Atem.
Aber dann kam der Tag als er seine Zukünftige kennen lernte und vor ihm stand die schönste Frau, die man sich in seinen Träumen nur ausmalen konnte. Ihr Name war Bridget und Thomas war innerhalb kürzester Zeit unsterblich in sie verliebt.
Die Hochzeit fand schon wenige Tage später statt und nach der Trauung sollte es ein großes Fest im Schlosspark mit vielen Gästen aus ganz Irland geben
Voller Stolz geleitete Thomas seine Bridget vor den Traualtar und bereitwillig leistete er den Schwur, seine ihm Angetraute fortan für immer zu lieben, bis dass der Tod sie scheide.
* * *
Wir verließen Devenish Island morgens nach dem Frühstück und legten nach einer guten halben Stunde Fahrt am Anleger von Hay Island an. Der Wind hatte stark aufgefrischt und wir sind dann mit unserem Dinghy mit Vollgas durch die Kabbelwellen nach Manor House gefahren. Ich war gespannt, ob man da jetzt den vielgerühmten Räucherlachs kaufen konnte. Als ich Ostern mit Joki da war, hieß es, es sei noch zu früh im Jahr und es gäbe noch keinen Lachs. Nun – jetzt war Juli und ich hoffte, es sei nun nicht schon zu spät. Chris Noble im Manor House Büro sagte uns aber, es gäbe dieses Jahr überhaupt keinen Lachs. Das mussten wir ihm glauben, obwohl wir insgeheim vermuteten, dass es den Lachs eventuell nur für Manor House Gäste gab.
Wir sind dann am Golfplatz entlang hoch zum herrschaftlichen Hotel und sind einfach mal ganz dreist hinein gegangen und haben uns alles angeschaut. Britta war von den zahlreichen antiken Möbeln höchst beeindruckt. Überhaupt – es war alles sehr elegant und luxuriös. Die Herren im Speisesaal trugen Anzug und Krawatte, die Damen schicke Kleidchen.
Wir dagegen sahen aus, wie heruntergekommene Boatpeople und haben uns daher diskret wieder nach draußen begeben, haben noch kurz die Marina besichtigt und eine viertel Stunde später starteten wir den Nanni Diesel unsere Penichette und sind wieder in See gestochen.
Auf unserer Seekarte sahen wir, dass es in Inishmacsaint ‚Monastic Ruins‘ zu besichtigen gab, also sind wir da hin.
Der Anleger war ziemlich voll und es gab nur noch einen freien Platz innen in der Ecke des L-Anlegers. Der Wind war mittlerweile ziemlich kräftig geworden und wir hatten einiges zu tun, um das Schiff in die gewünschte Parkposition zu bringen. Die Leute auf den anderen Booten haben uns interessiert zugeschaut. Geholfen hat uns aber keiner. Hat aber auch so alles bestens geklappt.
Als wir von den Ruinen zurück kamen, war auf dem Steg mittlerweile das Barbeque-Fieber ausgebrochen. Auf drei separaten Grills bruzzelten Grillwürstchen, eingelegte Koteletts und frikadellenähnliche Fleischklopse. Die Männer einer irischen Großfamilie, die mit drei Privatbooten da waren, stachen ein Fünfliterfass Guiness an und begannen nach dem ersten Zuprosten gleich irgendwas von ‚My old Britannia‘ oder so ähnlich zu singen, was dann aber ziemlich schnell in lautstarkes Grölen überschlug. Die Damen, alle mit feinstem Sonnenbrand, lachten hysterisch. Vermutlich erzählten sie sich irgendwelche unanständige Zoten.
Britta und mir war das etwas zuviel Lokalkolorit und wir brauchten uns nur einmal kurz anzusehen, um dann wortlos einstimmig zu beschließen, sogleich weiter zu fahren.
Bei einem guten Viererwind sind wir dann durch ein Meer von White Horses nach Castle Caldwell gefahren. Als wir die weitläufige Bucht erreichten, ließ der Wind nach und wir erreichten den Anleger bei spiegelglattem See. Wir legten am vereinsamten Jetty an und fühlten uns zurück im Paradies!
Wir sind dann zum Schloss hoch spaziert und fanden eine völlig zugewucherte Ruine vor, die man aus Sicherheitsgründen nicht betreten durfte. Wir waren trotzdem sehr beeindruckt von der Urgewalt der Natur. Gina fragte, ob da drin Dornröschen schlafen würde.
‚Ja‘, sagte Anna, ‚bestimmt. Pass auf, gleich kommt der Prinz vorbei, schlägt die ganzen Dornen entzwei und küsst sie wach‘.
‚Stimmt das, Mama?‘, fragte Gina beeindruckt.
Zurück am Steg wollte Matteo wieder ein paar Barsche fangen. Geduldig hielt er seine Madenrute ins Wasser, aber es wollte einfach kein Fisch anbeißen.
Plötzlich sahen wir ein Boot auf uns zu kommen. Es war ein Tara Cruiser, der schon einige Jahre auf dem Buckel zu haben schien. Um so jünger war die Besatzung. Vier Jungs und zwei wirklich nett anzuschauende Mädels, die eine mit mittellangen blonden Haaren, die andere dunkel.
Sie wollten innen am Jetty anlegen, kamen aber irgendwie mit den Leinen nicht klar. Ich half ihnen dann vom Steg aus und als das Boot fest lag, kamen wir ins Gespräch. Sie hatten das Boot kurzfristig in Carrick on Shannon gechartert zu einem Superpreis. Wenn ich alles richtig verstanden habe, haben sie für 11 Tage 1.400 Euro bezahlt. Da lagen wir
mit unserer Penichette fast beim Doppelten. Sie meinten, dafür müssten sie auf dem Boot auch den ein oder anderen Kompromiss eingehen. Es wäre halt schon ein ziemlich altes Boot und es würde nicht immer alles funktionieren.
Einer von den Jungs sah, dass Matteo kein Glück beim Angeln hatte. Er ging zu ihm mit eine Tupperdose, in der sich so ein Teig ähnliches Zeug befand. Er nahm ein paar Hände voll von der Masse und warf sie in Richtung von Matteos Schwimmer. Es dauerte daraufhin keine zwei Minuten und mein Sohn fing eine schöne Brasse. Matteo war daraufhin so dermaßen beeindruckt von dem Anfütterzeug, dass er mich anbettelte: ‚Papa, das müssen wir auch kaufen, bitttteeee, wir müssen das auch haben, das ist super, das Zeug, können wir das bitte, bitte, bitte auch kaufen? Ja, Papa?‘.
Der freundliche junge Mann von dem Tara Cruiser hatte das natürlich mitbekommen, verschwand lachend unter Deck und kam wenig später wieder und überreichte Matteo eine Plastiktüte in der sich offensichtlich eine gute Portion von dem Wundermittel befand. Ich bedankte mich für Matteo auf bestem Schulenglisch und forderte meinen Sohn auf, ebenfalls artig Thank You zu sagen, was der dann sogar auch tat.
Er fing dann noch eine ganze Reihe von Fischen, darunter auch ein paar lecker anzuschauende Barsche, die wir aber alle wieder in die Freiheit entließen. Heute gab’s bei uns Schnitzel, grüne Bohnen mit Speck und handgeschnitzte Kartöffelchen!
Und nach Abwasch, gute-Nacht-Schlückchen für Papa und Mama ging es ab in die Kojen (exakt in dieser Reihenfolge!).
***
Thomas Ehe mit Lady Bridget stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Es zeigte sich ziemlich schnell, dass Thomas rasend vor Eifersucht war, obwohl ihm seine Frau hierzu gar keinen Anlass gab.
Thomas ließ sein Weib nicht aus den Augen, und wenn ihn seine Geschäfte schon mal zwangen, allein irgend woanders hin zu reisen, sperrte er Lady Bridget in ihren Gemächern ein und ließ sie von zwei ihm untertänigen Zofen bewachen.
Auch die Freundschaft zwischen Thomas und mir war nicht mehr das, was sie einmal war. Er sah auch in mir einen Konkurrenten und verbot mir eines Tages sogar, mich weiterhin im Schloss und vor allem in der Nähe von Lady Bridget blicken zu lassen.
Ich wollte ihn zuerst nicht ernst nehmen, doch er drohte mir sogar, mich in den Kerker sperren zu lassen, wenn ich sein Verbot missachten würde. Er hatte regelrecht Schaum vor dem Mund und schrie mich an, er würde nicht zögern, mich mit seinem Schwert zu töten, wenn ich auch nur noch einmal seine Gemahlin anblicken würde.
Ich war völlig fassungslos.
Was war nur mit meinem Blutsbruder passiert, dass er so ausrastete.Ich sagte zu ihm: ‚Thomas, so beruhige dich doch, du bist doch mein Bruder‘.
Aber statt mir zu antworten, schlug mich Thomas ohne Vorwarnung mit seiner Faust nieder, und wie ich völlig überrascht zu Boden fiel, traf er mich mit seinem schweren Reiterstiefel mit einem heftigen Tritt am Kopf, sodass ich für kurze Zeit die Besinnung verlor.
Lady Bridget, die unseren Streit vom Nebenzimmer aus mitbekommen hatte, eilte sogleich herbei, schrie Thomas an, er solle aufhören und mich in Ruhe lassen. Sie stellte sich schützend vor mich hin. In diesem Moment wachte ich aus meiner Bewusstlosigkeit auf und sah den irren Blick in Thomas Gesicht und ich sah wie er mit seiner Faust ausholte, um seine Frau ebenfalls zu schlagen. Blitzschnell sprang ich auf und riss Lady Bridget zur Seite, sodass der Schlag zum Glück ins Leere ging. Hasserfüllt blickte mich Thomas an, zog sein Schwert aus der Scheide und schrie mich an: ‚Dann sollst du jetzt sterben‘.
Sofort schlug und stach er mit seinem Schwert auf mich ein und ich hatte Mühe, ihm auszuweichen. Vor allen Dingen hatte ich keine Waffe um mich zu wehren.
Plötzlich flog die Tür auf und zwei Wachen, die den Lärm gehört hatten, kamen ins Zimmer geeilt.
‚Überlasst den Verräter mir, sperrt ihr die Frau in den Kerker‘, schrie Thomas wie von Sinnen.
Im letzten Moment konnte ich dem Schlag eines Schwertes aus dem Weg gehen. Reflexartig trat ich dem Wachmann in den Bauch, worauf dieser zu Boden sackte und sein Schwert aus der Hand verlor.
Blitzschnell ergriff ich das Eisen und konnte mich nun dem Kampf mit Thomas stellen. Beidhändig wehrte ich mit aller Kraft seine Schwertschläge ab und bemühte mich meinerseits, Thomas nicht zu verletzen. Trotz allem war er immer noch mein Freund, mein Bruder.
Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Lady Bridget sich aus dem Griff des zweiten Wachposten hatte befreien können. Aus einer Körperdrehung heraus gelang es ihr sogar, das Schwert des Soldaten aus der Scheide zu ziehen und hielt ihm nun die Schwertspitze an den Hals, sodass der Wächter zur Salzsäule erstarrte und es nicht wagte, sich zu bewegen.
Weitere Soldaten eilten nun herbei und die Situation wurde für Lady Bridget und mich immer prekärer.
‚Zum Fenster, Lady Bridget, springt‘, rief ich Thomas Ehefrau zu. Diese tat wie ihr geheißen. Kurz hintereinander sprangen wir beide aus dem zweiten Stock von Crom Castle. Wir landeten etwas unsanft auf dem hölzernen Schrägdach eines Pferdestalls. Von da aus rutschten wir hinunter, sprangen dann zu Boden und rannten wie aus Leibeskräften zu einem nahen Waldstück.
‚Ihnen nach!‘, hörten wir Thomas oben am Fenster schreien, und der erste Soldat sprang auch sogleich hinaus auf das Vordach. Dieses gab aber unter der Wucht des Aufpralls nach, das Holz splitterte und das Dach zerbrach in tausend Stücke und begrub den Soldaten unter sich.
Für die anderen war es ohne Dach nun viel zu hoch, ebenfalls aus dem Fenster zu springen. Somit mussten sie erst durchs Haus laufen, um ins Freie zu gelangen.
Das verschaffte Lady Bridget und mir genug Vorsprung, um unsere Flucht erfolgreich fortzusetzen.
Wir erreichten Belleek gegen Mittag und sind dann sogleich in Mickeys Angelladen gegangen, den ich noch von meiner Herrentour her kannte. Mickey ist ein wahrer Gentleman, very british, und immer zu einem Scherz aufgelegt. Er freut sich, wenn Deutsche in seinen Laden kommen, dann kann er seine profunden Deutschkenntnisse zum Besten geben, was immer wieder für Erheiterung bei allen Beteiligten sorgt. Wir erstanden eine Dose bester Regenwürmer und baten Mickey dann, uns ein Taxi zu rufen, welches uns nach Smugglers Creek fahren sollte. Mickey wählte die Nummer bestimmt ein Dutzend mal, ein Taxi hat er aber nicht erreicht. Da sagte er zu uns: ‚Wenn es mir nicht gelingt, Ihnen ein Taxi zu besorgen, dann fahre ich Sie eben selbst’…
Etwas verblüfft ob so großer Gastfreundlichkeit stiegen wir wenige Augenblicke später in seinen Rover ein und fuhren Richtung Meer.
Ich wollte Mickey die Fahrt bezahlen, aber er wollte das Geld unter keinen Umständen annehmen. Wenn wir mal wieder in Belleek wären, sollten wir in seinen Angelladen kommen und wieder ein paar Würmer kaufen, dann wäre das völlig in Ordnung, meinte er, gab jedem zum Abschied freundlich die Hand und fuhr dann wieder zurück nach Belleek.
Die Aussicht vom Smugglers Creek hoch oben über die weitläufige Bucht ist einfach sensationell. Im Gegensatz zu meinem Osterbesuch war die Bucht heute aber ziemlich gut besucht. Eine Vielzahl von Autos und Caravans parkten im festen Sand. Britta und mir kam es vor, als wären wir hier mitten in einen Wettbewerb um den schönsten und kräftigsten Sonnenbrand geraten. Krebsrot saßen sie da zu Hunderten im Sand, spielten Beachball und tobten im flachen Wasser.
Und sie standen in zwei langen Reihen vor einer Fish&Chips Bude.
Da haben unsere Kinder unisono gerufen: ‚Pommes! Wir wollen Pommes!‘.
Ja, klar, endlich mal was vernünftiges zu mampfen.
Immer nur Selbstgekochtes hält ja kein Kind aus.
Da es Britta offensichtlich auch nach Pommes gierte, hat sich Papa brav in die Schlange gestellt und das Treiben in der Frittenbude auf Rädern beobachtet. Darin standen drei Personen: ein älterer, etwas dickbäuchiger Mann mit einer ehemals weißen Schürze an, eine Frau, sehr wahrscheinlich die Chefin, und ein junges Mädels mit roten Haaren und Sommersprossen.
Die Rollen waren klar verteilt.
Der Mann war der Chefkoch, der die Burger auf dem Edelstahlgrill brutzelte, die Frau hat kassiert und das Mädel war für den Service zuständig, und hat nach alter Landessitte jeden Gast gefragt, ob er Salz und Essig auf die Fritten bekäme.
Bei dem Gedanken an Essig auf Fritten hat es mich mal wieder
geschüttelt und als ich endlich dran war, habe ich dreimal wiederholt
‚please, no vinegar‘.
Bekam ich dann auch glücklicherweise nicht.
Allerdings kam auch kein Salz auf die Fritten. Das wurde dann von den Kindern und meiner Frau moniert (‚Papa, die Fritten schmecken nicht, da ist ja überhaupt kein Salz dran‘), also bin ich zurück zur Bude, habe mich frech an der Schlange vorbei geschoben und die irische Schönheit in meinem allerbesten Schulenglisch um Salz gebeten.
Sie schaute etwas verdutzt, lächelte mich dann aber freundlich an und reichte mir den großen Streuer an. Ich bedankte mich höflich, murmelte was von ‚I’ll be back in a second‘ und entschwand zu meiner Familie.
Was ich nicht wusste, war, dass dies der einzige Salzstreuer in der Bude war. Dies bedeutete, dass in der Zeit, in der ich ,weg war, keine Fritten mehr gesalzen werden konnten. Als ich dann nach knapp zwei Minuten zurück war, wurde ich auch sogleich vom Frittenchef in unverständlichem Hardcore-Irisch zurecht gewiesen. Verstanden habe ich kein Wort, stellte mich daher dumm, lächelte freundlich und hab mich dann wieder davon
getrollt.
Die Fritten waren trotz Salz absoluter Horror, außen weich dafür innen noch halb roh.
Wir haben sie dann heimlich entsorgt.
Gina meinte dann, sie müsse mal auf Toilette.
Britta tat, als hätte sie nichts gehört, folglich bin ich mit Gina losgezogen, um eine Toilette zu suchen. Und siehe da, plötzlich standen wir vor einer Batterie Dixie-Klos, vor der großer Andrang herrschte.
Ginaund ich stellten uns in die Schlange und ich flehte Gina an durchzuhalten, bis wir dran wären. Eine freundliche Einheimische bemerkte Ginas Not, sprach die vor ihr stehenden Wartenden an, die uns dann lächelnd durch winkten und uns vorließen.
Ich liebe die Iren, sie sind einfach ein super nettes Völkchen!
Auf dem Rückweg sind wir dann im Smugglers Creek eingekehrt, haben dort lecker gegessen und getrunken, und irgendwann kam auch das Taxi, das uns die freundliche Bedienung gerufen hatte und fuhr uns zu unserem Boot zurück.
Wir haben dann noch nachmittags abgelegt und sind in die Tully Castle Bucht gefahren.
Dort legten wir neben einer kleinen feuerroten Barge an auf der ein Hippie gemütlich im Liegestuhl saß und angelte. Er hatte eine Grundangel in ungefähr 15 Metern Entfernung ausgelegt. Wir dachten, dass wäre ein irischer Nachfahre von Huckleberry Finn und bestimmt ein Angelspezialist.
Matteo hat dann direkt am Steg geangelt und einen Fisch nach dem anderen heraus geholt, während bei Huck Finn 2. kein einziger Fisch an den Haken ging.
‚Siehst du Papa, das Anfütterungszeug ist wirklich spitze!‘, flüsterte Matteo mit vor Stolz geschwellter Brust.
Ich bin dann mit dem Hippie ins Gespräch gekommen.
Er erzählte mir, er hätte eine Wohnung in der Nähe von Enniskillen, aber er würde jede freie Minute auf dem Wasser verbringen. Und das wären jede Menge Minuten, denn arbeiten würde er nicht. Na, wenn der von seinem Fischfang leben musste, dann war mir klar, warum der so schlank war. Wir tranken eine Büchse Budweiser zusammen und der Hippie meinte dann noch, eine Frau hätte er auch nicht, dafür wäre seine Barge zu klein.
Er hat sich dann auf einem Camping-Gaskocher eine Tüte Nasi Goreng gebraten und mit Stäbchen gegessen. Der Mann hatte eben Stil und obendrein Sinn fürs Detail.
In der Nacht schien der Himmel sternenklar und mit etwas Wehmut dachte ich daran, dass wir uns jetzt bereits auf der Rückfahrt befanden.
* * *
‚Thomas hat uns jetzt bestimmt schon für vogelfrei erklärt‘, sagte ich zu Lady Bridget.
‚Ja, es gibt keinen Weg mehr zurück‘, antwortete sie und rieb sich den rechten Knöchel, den sie sich bei dem Sprung aus dem Schlossfenster leicht verstaucht hatte.
Ich zog mein Hemd aus, tränkte es im kühlen Seewasser und legte Lady Bridget einen provisorischen Verband an, damit der Knöchel nicht weiter anschwoll.
Als ich ihren Fuß vorsichtig absetzte, griff sie meine Schulter und drehte mich zu sich herum. Unsere Blicke trafen sich und ein Gefühl von tiefer Zuneigung nahm von mir Besitz. Lady Bridget senkte den Kopf zu mir, hauchte leise ‚danke für alles‘ und lächelte mich mit dem schönsten Lächeln, das ich bisher in meinem Leben gesehen hatte, an. Langsam kamen ihre Lippen den meinen immer näher, bis sie sich endlich berührten und wir uns leidenschaftlich küssten. Sollte Thomas mich morgen von mir aus töten, heute Nacht würde ich ihm jedenfalls allen Grund dazu geben.
* * *
In Enniskillen sind die drei Mädels dann im Einkaufszentrum shoppen gegangen. Sie haben sich regelrecht schick gemacht und wähnten sich wieder in der zivilisierten Welt.
Matteo und ich haben derweil unsere Angelruten klar gemacht.
Da fing es kräftigst an zu regnen. Ein richtiger Wolkenbruch ist über uns hernieder gegangen. Halbwegs geschützt saßen Matteo und ich auf der überdachten Terrasse unserer Penichette 1120 Cor na Coille.
Normalerweise beißt ja bei Regen kein Fisch. Aber Matteo hatte noch eine gute Portion von seinem Anfütterungszeug und die Fische bissen im Sekundentakt. Es versteht sich von selbst, dass Matteo – schön im Trockenen sitzend – die Fische gefangen und gelandet hat. Ich musste sie vom Haken lösen und dann wieder vorsichtig ins Wasser zurück
setzen. Das ging so 30 bis 40 mal, ich war dann langsam aufgeweicht und Matteo hatte jetzt auch Hunger und wollte dann Fernsehen. Ach, ist das für einen Vater ein Glücksgefühl, wenn die lieben Kleinen glücklich und zufrieden sind.
Irgendwann hörte der Regen wieder auf und die Mädels kamen mit vielen bunten Tüten bepackt von ihrer Einkaufstour zurück.
Gerne ließ ich mir die ganzen super günstigen Schnäppchen vorführen und ließ mir gerne auch von Anna erklären, warum sie jetzt auch noch diesen Haarreifen unbedingt gebraucht hatte. Die anderen der in ihrem Besitz befindlichen waren ja auch bestimmt schon alt und abgenutzt.
Ähnlich war es bei Brittas Tasche (‚Hey, das ist ein super Rucksack, so einen habe ich mir schon immmmmer gewünscht!‘).
Irgendwann war die letzte Tüte ausgepackt und jedes Teil eingehend besprochen.
‚Matteo‘, rief ich, ‚jetzt sind wir dran mir shoppen‘.
‚Fahren wir in den Angelladen und gehen Anfütterzeug kaufen, Papa?‘.
‚Klar‘, sagte ich, ‚wir fahren mit dem Dinghy hin‘.
Männer sind eben umkompliziert!
Ostern hatte ich am Cloonatrig-Jetty einen Monsterhecht gehakt, aber es
auch nach einigen Versuchen nicht geschafft, den Burschen auch im Kescher zu landen.
Ich bildete mir nun ein, dass der Hecht jetzt noch an der gleichen Stelle saß und zum finalen Showdown auf mich wartete. Als ich dies Britta erzählte, fing sie an zu lachen und meinte nur, ich sei als Mann nicht nur unkompliziert, sondern wohl auch ziemlich einfach gestrickt.
Keine Ahnung, was sie damit gemeint hat
Als wir um die Ecke bogen und ich den berüchtigten Anleger erspähte, sah ich, dass dort zwei Angler ihre Grundangeln ausgelegt hatten.
Voller Hektik bin ich denen voll über die Schnüre gefahren, habe in einer Ruckzuck-Aktion das Boot angelegt, schnell die Rute mit dem 85gr-U-Boot-Blinker geschnappt, bin an den Anglern vorbei zum Ende des Steges gerannt und habe sogleich den Blinker mit vollem Karacho in Richtung der Stelle gejagt, wo ich damals den Hecht gehakt hatte.
Ich war mir hundertprozentig sicher, der Kerl würde noch da sitzen und sogleich beim ersten Wurf wieder zuschnappen.
Aber da hat nix geschnappt.
Dafür flog mein 85gr-U-Boot-Blinker beim Ausholen verdächtig oft verdächtig nahe über den Köpfen der beiden Angler vorbei. Höflich, wie die Iren nun mal sind, haben sich die Jungs aber nicht bei mir beschwert, sondern haben es vorgezogen, eiligst ihre Sachen zusammen zu packen und so schnell wie möglich das Weite zu suchen. ‚Crazy Germans‘, hörte ich mit einem Ohr den einen von beiden murmeln.
Als sie weg waren habe ich direkt mit dem nächsten Wurf einen kapitalen Hänger gehabt und den 85gr-U-Boot-Blinker, beim Versuch ihn zu lösen, in den Tiefen des Ernes verloren.
Egal, der hatte eh versagt…
Am nächsten Morgen klagte Anna über heftige Ohrenschmerzen. Wir sind dann nach Belturbet zum Arzt gefahren. Die Sprechstundenhilfe war eine absolute irische Schönheit und insgeheim bedauerte ich es ein wenig, dass nicht ich der Kranke war, der von der holden Schönheit verbunden werden musste.
Der Arzt, ein Pakistani, war auch sehr nett und obwohl Anna kaum ein Wort von dem verstand, was er sprach, hatte sie schnell Vertrauen zu ihm.
Nach eingehender Untersuchung verschrieb der Arzt Anna ein Antibiotikum, welches wir dann in einer nahe gelegenen Apotheke umsonst (!) ausgehändigt bekamen.
Auch beim Arzt brauchten wir nichts zu zahlen. So sind eben die Iren.
Und hier in Deutschland kriegt die Regierung keine vernünftige Gesundheitsreform hin.
Nach Belturbet sind wir dann wieder in den Shannon-Erne-Waterway gebogen und die Preisfrage lautet jetzt, wo wir die nächste Nacht verbracht haben?
Na, … denkt mal an die Kinder.
Richtig, – geht doch, – in Swan Island auf der Animal Farm. (Papa, guck
mal, wie groß die Hündchen schon geworden sind, die können wir jetzt
bestimmt mit nach Deutschland nehmen).
Wir verbrachten wieder einen wunderschönen Abend auf der Farm und haben erneut ausgezeichnet gegessen.
Es war der Vorabend unseres letzten Tages in Irland. Noch zweimal schlafen, dann mussten wir wieder nach Deutschland zurück.
* * *
Lady Bridget und ich waren jetzt bereits seit zwei Jahren auf der Flucht.
Im ganzen Land wurden wir von den Schergen Thomas Cromwells gejagt.
Auf unsere Köpfe waren hohe Belohnungen ausgesetzt. Es wurde immer schwieriger irgendwo Unterschlupf zu finden. Und auch wenn Lady Bridget und ich uns prächtig verstanden und unsere Liebe von Tag zu Tag inniger wurde, war die ständige Flucht doch kein Leben, das man dauerhaft führen konnte.
Es war Bridget, die mich dazu überredete, zurück nach Crom Castle zu gehen und mit Hilfe des Onkels von Thomas wieder Frieden herzustellen und irgendwie einen Waffenstillstand zu vereinbaren.
Sir Richard hatte ein gemeinsames Treffen im Schloss für den Morgen des 3. Juni 1506 vereinbart. Auf sein Geheiß hin sollten wir die Nacht vorher im Crichton Tower verbringen. Thomas hatte seinem Onkel versprochen, dass er uns dort unbehelligt lassen würde.
Aber Thomas hatte seinen Onkel angelogen. Seine unabänderliche Gier nach Rache hatte ihn regelrecht krank gemacht.
Im Crichton Tower waren wir ihm noch einmal ganz knapp entkommen. Jetzt versteckten wir uns im dichten Unterholz auf Inishfendra und hofften, dass wir unentdeckt blieben. Thomas mag zwar krank gewesen sein, aber er war beileibe nicht dumm. Als er feststellte, dass wir ihm im Crichton Tower entkommen waren, ahnte er sofort, dass wir uns nach Inishfendra durchgeschlagen hätten. Sofort befahl er seinen Männern die Insel zu durchforsten.
Als wir die Fackeln immer näher auf uns zukommen sahen, wussten wir, dass wir sicher bald entdeckt würden.
‚Lasst uns zum Schloss schwimmen‘, sagte Lady Bridget, ‚wenn wir schon sterben müssen, dann in aller Öffentlichkeit, jedenfalls nicht hier, wo es keiner mitbekommt und Thomas unsere Leichen heimlich verschwinden lassen kann‘.
‚Ja‘, sagte ich, ’schwimmen wir zur Höhle des Löwen‘.
Völlig durchnässt erreichten wir das Schloss nach Mitternacht und baten um Einlass. Die Wachen erkannten uns sofort und nahmen uns fest. Es war Thomas‘ Onkel, Sir Richard, der den Wachen Einhalt gebot und ihnen befahl, uns sofort wieder von unseren Fesseln zu befreien.
Mittlerweile hatte Thomas auf Inishfendra erfahren, dass wir uns im Schloss aufhielten. Sofort bestieg er mit seinen Männern die Kähne und setzte über. Als er zum Schlosstor kam, war dieses verschlossen. Thomas war außer sich vor Wut und herrschte die Torwächter an, sofort zu öffnen. Aber da erschien Sir Richard auf der Schlossmauer in Begleitung von zahlreichen Soldaten, die mit ihren hellen Fackeln die dunkle Nacht aufhellten.
Mit kräftiger Stimme sprach Sir Richard die folgenschweren Worte:
‚Thomas‘, schallte es durch die Nacht, ‚Ihr seit es nicht wert, den Namen Cromwell zu tragen. Ihr habt die Ehre Eurer Familie mit Schmutz besudelt und ich werde nun dafür Sorgen, dass Euch die Herrschaft über unser Volk wieder entzogen wird. Ich will Euch aber trotzdem die Chance geben, Wiedergutmachung zu üben und erlaube Euch fortan als einfacher Mann weiter in unserer Mitte wohnen zu bleiben.
Wenn ihr das aber nicht wollt, so werdet Ihr mit sofortiger Wirkung verstoßen und müsst Crom Castle heute Nacht noch auf immer und ewig verlassen‘.
Mit versteinerter Miene hatte Thomas die Worte seines Onkels vernommen. Mit Zorn im Gesicht wandte er sich ab und befahl seinen Männern ihm zu folgen. Vom Schloss aus beobachteten wir, wie sie zurück in ihre Kähne stiegen und hofften inständig, sie würden ablegen und nie wieder zurück kehren.
Aber sehr bald stellten wir fest, dass Thomas einen teuflischen Plan hatte. Plötzlich erhellten ganz viele Fackeln den Nachthimmel am Ufer und wenig später surrten zahllose brennende Pfeile durch den Nachthimmel, flogen hoch über die Schlossmauer hinweg und blieben in den hölzernen Dächern stecken und entfachten diese sofort.
Innerhalb kurzer Zeit brannte das ganze Schloss.
Thomas und seine Männer nutzten die Verwirrung und griffen mit ihren Schwertern an. Mit brutaler Gewalt erschlugen sie jeden, der sich ihnen in den Weg stellte. Ich eilte Sir Richard zu Hilfe, der sich im Kampf mit vier Soldaten befand. Vereint gelang es uns schnell, die Angreifer zu besiegen.
Und dann stand Er vor mir.
Blanker Hass sprühte aus seinen Augen als sich unsere Blicke trafen. Zeitgleich hoben wir unsere Schwerter und hieben mit größter Kraft den blanken Stahl auf einander ein. Thomas war immer noch stärker als ich und auch ein paar inch größer. Dafür war ich aber wendiger und weitaus flinker in meinen Bewegungen. Und als ich plötzlich ausrutschte und zu Boden fiel, war es eben dieser Wendigkeit zu verdanken, dass ich mich dem tödlichen Stich durch Thomas Schwert in letzter Sekunde entziehen konnte. Noch im Wegrollen trat ich gegen Thomas rechtes Bein. Er verlor das Gleichgewicht und stürzte vornüber auf mich zu. Reflexartig hob ich mein Schwert, in welches Thomas mit voller Wucht fiel. Die scharfe Spitze durchbohrte Thomas Brust und kam am anderen Ende auf seinem Rücken wieder heraus. Mit großen Augen voller Überraschung starrte Thomas mich an. Sein Körper zuckte noch ein letztes Mal. Dann schloss er für immer die Augen.
Mein ehemals bester Freund, mein Blutsbruder, war tot. Trauer überkam mich und angewidert warf ich mein Schwert weg.
Während das Schloss immer noch lichterloh brannte, machte sich schnell die Nachricht kund, dass Thomas Cromwell im Kampf gestorben sei.
Die Soldaten beendeten augenblicklich ihre Kämpfe und legten die Schwerter nieder.
Als die Sonne wenig später im Osten aufging, war das Schloss bis auf seine Grundmauern abgebrannt.
Crom Castle war für immer zerstört.
* * *
Schweren Herzens legten wir am nächsten Abend in der Locaboat-Marina zum letzten Mal mit unserer Penichette an. Unsere erlebnisreiche Fahrt ging zu Ende. Bis auf Annas Ohrentzündung sind wir alle wieder wohlbehalten zurück gekommen.
Hunderte Fotos haben wir gemacht, die meisten von unseren Kindern mit irgendwelchen Katzenjungen oder Bobtail Welpen.
Britta hat zum ersten Mal in ihrem Leben Whiskey getrunken und der hat ihr sogar so gut geschmeckt, dass wir fortan täglich ein Gläschen zusammen gekippt haben.
Matteo hat wieder den halben Erne leer gefischt.
Gina ist fest überzeugt, sie könne jetzt perfekt ‚irländisch‘ sprechen (‚hallo
heißt auf irländisch nämlich hello!‘).
Anna hat sich als erste getraut, im Erne schwimmen zu gehen, und hat dabei sogar einen Fisch gefangen – mit der Hand!
Und ich?
Ich würde gerne irgendwann wieder hierher kommen.Und am liebsten wieder mit der ganzen Familie!
* * *
‚Ich gebe Euch hiermit meinen Segen‘, sprach Sir Richard zu Lady Bridget und mir.
‚Und ich erlaube Euch, ein neues Schloss zu bauen. Und dieses soll stehen neben der jungen Eiche, die ich für Euch gepflanzt habe und die Euch bis an Euer Lebensende begleiten soll‘.
Und dann erhob Sir Richard sein Glas und sprach: ‚Und nun erlaube ich Euch, die Braut zu küssen‘.
Und unter dem Jubel aller Anwesenden tat ich, wie mir geboten war.
* * *
‚Papa?‘.
‚Ja‘.
‚Ist die Gute-Nacht-Geschichte jetzt zu Ende?‘
‚Ja, jetzt ist sie zu Ende‘.
‚Die war aber manchmal ganz schön gruselig, die Geschichte‘.
‚Ja, schon, manchmal war sie ein bisschen gruselig‘.
‚Ich fand am besten, wie die unter den Booten getaucht sind‘.
‚Ich fand am besten, wie die gekämpft haben‘.
‚Ich fand am besten, wie die sich geküsst haben‘.
‚Iiiihhhh, küssen ist ja ekelhaft‘.
‚Papa?‘.
‚Ja‘.
‚Erzählst du in unserem nächsten Urlaub wieder so eine Gute-Nacht-Geschichte‘.
‚Ja, wenn ihr wollt, mal sehen‘.
‚Wohin fahren wir denn in unserem nächsten Urlaub?‘.
‚Weiß noch nicht. Soll Mama entscheiden. Vielleicht nach Italien?‘.
‚Au ja, nach Italien!‘.
‚Was erzählst du uns denn dann für eine Geschichte?‘.
‚Mal sehen, vielleicht über Leonardo da Vinci oder was von der Mafia.
Jetzt aber Augen zu, morgen müssen wir ganz früh raus!‘.
* * *