Es war einer dieser Tage, an denen du nur mit Mühe morgens ein Auge auf bekommst.

Tief in deinem Schädel spürst du ein leichtes, aber stetiges Brummen und es kommt dir vor, als würde alles um dich herum leicht schwanken. Du schmeckst den schalen Geschmack von billigem Fusel, den du dir in der vergangenen Nacht bis zur Besinnungslosigkeit einverleibt hast, und gleich wirst du das noch billigere Parfum riechen, dessen Trägerin du vermutlich in einer zwielichtigen Bar aufgegabelt und unnötigerweise mit genommen hast.

Einsame Herzen, die sich für ein paar Stunden zweifelhaften Glücks zusammen gefunden haben.

Ganz vorsichtig blinzelst du mit einem Auge; die nähere Umgebung kommt dir unbekannt vor und du bist dir dann irgendwann sicher, nicht in deinen eigenen vier Wänden zu sein.

Ein fremdes Haus, ein fremdes Bett, eine fremde Frau.

'Fremd', denkst du, 'das ist gut'.

Keine unnötigen Fragen, die du nachher beantworten musst.

Kein 'sehen wir uns bald mal wieder?', oder 'rufst du mich mal an?'

Lass sie um Himmels Willen weiter schlafen, denkst du dir und machst noch einmal beide Augen fest zu um die nötige Kraft zu sammeln, damit du dich dann wie ein Dieb in der Nacht heimlich davon stehlen kannst.

 

"Papa?"  

...

 

"Papa!"

 

Was soll das jetzt?

Bitte nicht die Nummer.

Schlaf weiter, flehe ich still und stelle mich tot.

 

"Pappaaa!"

 

Papa, Papa, schießt es mir durch den Kopf, was bildet sich diese Person überhaupt ein? So intim können wir gar nicht gewesen sein, dass die mich Papa nennen darf!

 

"Papa, aufstehen, Frühstück ist fertig !!!"

 

 

 

He?

Aber das ist doch, ... das ist doch gar keine Frauenstimme.

Das ist Matteo, mein Sohn.

Oh Schreck.

Was macht der denn hier?

Ich, im Bett einer fremden Frau.

Was wird Matteo da denken?

Wild entschlossen reiße ich beide Augen auf, schrecke mit dem Oberkörper hoch und knalle mit meinem Kopf an irgendetwas, das mir so hart wie Krupp-Stahl erscheint.

 

"Aua", schreie ich und reiße beide Hände vors Gesicht.

 

Vor Schmerz.

Aber vor allem auch vor Scham.

Wie konnte mir DAS nur passieren?

 

"Hey, alter Junge, auch schon wach? Jetzt aber raus aus der Koje, es gibt Eier mit frisch gebrutzeltem Speck und frischen Kaffee. Nur Aufstehen musst du noch selber".

Das ist unzweideutig die Stimme von Joki, meinem Freund. Und genauso schnell wie der Schmerz in meinem Kopf nachlässt, fällt es mir nun auch wieder ein:

Keine durchzechte Nacht, nix fremdes Bett, keine fremde Frau, eigentlich überhaupt keine Frau!

 

Das hier ist Irland, der Erne, und ich mit drei weiteren Männern auf unserer 'Herrentour 2005' !!!

 

Die anderen Herren, das sind: Joki, 37, sein Sohn Niclas, 9, mein Sohn Matteo, 5, und ich, 48.

 

Total erleichtert, in der letzten Nacht doch nicht versumpft zu sein – war wohl ein Albtraum – versuche ich vor meinen Kumpels trotzdem gelassen zu wirken.

 

"Na dann nach dem Frühstück direkt 'Leinen Los' " höre ich mich selbst sagen. Schon wieder ganz der Alte, denke ich, die Selbstsicherheit in Person.

 

Nach dem Frühstück hat die Selbstsicherheit in Person dann erstmal alleine abgespült.

 

 

>>>>>> nächste Seite >>>>>